Auf der Spur des Papiers. Eine Liebeserklärung

Ein neuer Buchblog sollte mit der Rezension eines besonders schönen Buchs beginnen – und das ist Erik Orsennas Auf der Spur des Papiers. Eine Liebeserklärung äußerlich wie inhaltlich ohne Zweifel.
Die leicht raue Struktur des Schutzumschlags (der einen Ausschnitt des hübschen Titelmotivs klug abgewandelt auf dem Buchrücken wiederaufgreift), die von der glatten Oberfläche der meisten Bücher abweicht, weckt schon Interesse, ohne dass man auch nur eine Seite gelesen hätte, und bevor man dazu kommt, kann man bereits über die gelungene Innengestaltung staunen, die in farblich abgesetzten Unterüberschriften, Kästen und Fußnoten den sanften Grünton aus dem Titelbild wiederkehren lässt.
Doch genug geschwärmt – schließlich kommt es vor allem auf den Inhalt an, und der bezaubert einen in diesem Fall genauso sehr wie das anmutige Äußere. In einem historischen und einem der Gegenwart gewidmeten Teil nähert Erik Orsenna sich dem Phänomen Papier, indem er kurze Skizzen seiner Besuche an Orten und bei Menschen aneinanderreiht, die alle in irgendeiner Form mit dem so vielseitigen Werkstoff in Verbindung stehen. Ob in seinem heimatlichen Frankreich oder auf Reisen in Kanada, Russland, Japan, Brasilien und weiteren Ländern, Orsenna spürt die spannendsten Museen, Fabriken und Holzplantagen auf und weiß sie ebenso eindringlich und charmant zu schildern wie die Fülle von Gesprächspartnern, mit deren Hilfe er sich seinem Gegenstand nähert.
So begleitet man das Papier von seinen sagenumwobenen Ursprüngen in China über seine teils begeisterte, teils zögerliche Übernahme durch andere Kulturen und die Umstellung von der Gewinnung aus Textilien auf den Rohstoff Holz bis in die Neuzeit, in der seine industrielle Produktion mancherorts zum Umweltproblem wird, während anderswo noch Handwerker die Kunst seiner traditionellen Herstellung beherrschen.
Apropos Kunst: Wie sehr Papier die menschliche Kreativität inspiriert, zeigt Orsenna nicht nur am Beispiel von Literatur oder Origami, sondern auch, indem er immer wieder Erfindungen und technische Fortschritte in den Mittelpunkt stellt, die ohne Papier nicht möglich gewesen wären, das auch zum Gelingen des ersten Flugs mit einem Heißluftballon beitrug. Damit nicht genug der Überraschungen: Wer rechnet schon damit, dass eine eingehende Beschäftigung mit der Toilettepapierproduktion (einschließlich entsprechender Rabelais-Zitate) von beträchtlichem literarischen Wert sein kann oder dass eine lange Auflistung von Papiernormen und -namen des 18. Jahrhunderts anregenden Lesestoff bietet?
Natürlich geht dieses bunte Kaleidoskop ein wenig zulasten des Tiefgangs. Die zahlreichen Vignetten sind liebenswert und gefällig, wollen und können aber kein Ersatz für ein Fachbuch zum jeweiligen Thema sein (auf entsprechende vertiefende Lektüre weist allerdings die kleine Bibliographie am Ende des Werks hin). Viel Lust, sich noch eingehender mit dem ein oder anderen angerissenen Gebiet zu befassen, macht einem Auf der Spur des Papiers auf jeden Fall. Ohnehin ist der konkrete Informationsgehalt vielleicht gar nicht einmal das Wichtigste: Vor allem sollte man sich auf den in bester französischer Tradition elegant formulierten und vor Esprit sprühenden literarischen Spaziergang einlassen, auf den Erik Orsenna einen mitnimmt. Man wird es nicht bereuen.

Erik Orsenna: Auf der Spur des Papiers. Eine Liebeserklärung. C.H. Beck, 2014, 336 Seiten.
ISBN: 978-3406660931


Genre: Kunst und Kultur