Der Hellenismus ist zwar die Epoche der Antike, in der vieles, was wir heute spontan mit „den alten Griechen“ assoziieren, entstand oder seine endgültige Gestalt erhielt, ist aber dennoch im allgemeinen Bewusstsein weniger stark verankert als das klassische Griechenland der Jahrhunderte zuvor. Peter Scholz‘ kompakte Einführung könnte daran vielleicht etwas ändern, denn so kenntnisreich und klar strukturiert ist die politische Geschichte des an Wirren reichen und dementsprechend schwer überschaubaren Zeitalters selten erzählt worden.
In zwei ereignishistorischen Abschnitten (von Philipp II. von Makedonien bis zur Schlacht von Sellasia 222 v.Chr. einerseits und von Philipp V. von Makedonien bis zum Ende der Ptolemäerherrschaft in Ägypten 30 v. Chr. andererseits) und zwei damit verschränkten Kapiteln zu Übergreifenden Aspekten der hellenistischen Zeit entfaltet Scholz ein Panorama einer Phase des Übergangs, die in der Mittelmeerwelt einen langfristigen Wandel der politischen Organisationsformen bewirkte: An die Stelle oft republikanisch geführter Stadtstaaten traten größere Monarchien, ein Prozess, der gegen Ende des Hellenismus in der Ausweitung des römischen Reichs und dem Anbruch der Kaiserzeit gipfelte.
Da diese Entwicklung ohne die makedonischen Eroberungen unter Philipp II. und Alexander dem Großen nicht zu verstehen ist, lässt Scholz seine Darstellung bereits mit diesen beiden Königen einsetzen. Gerade Alexander erfährt dabei eine höchst kritische Bewertung, die im Gegensatz zu weiten Teilen der Forschung steht (z.B. Robin Lane Fox oder Alexander Demandt). Hier erscheint persönliches Ruhmstreben als wesentliche Triebfeder seines Handelns, während ihm ein übergeordnetes strategisches oder politisches Konzept weitgehend abgesprochen wird.
Das Auseinanderbrechen seines heterogenen Reichs unmittelbar nach seinem Tod erscheint als logische Konsequenz dieses Mangels, doch von noch größerer Tragweite war sein Vorbild hinsichtlich der Legitimation seiner Nachfolger. Das Paradigma des siegreichen Eroberers, der seine Herrschaft allein militärischen Erfolgen verdankt, blieb für die folgenden Generationen bestimmend und fand nur eine unzureichende Ergänzung in der dynastischen Nachfolge. In Kombination mit der primär durch persönliche Bindungen an den König organisierten Regierung waren damit inneren Machtkämpfen ebenso Tür und Tor geöffnet wie ständigen Kriegen zwischen den verschiedenen Reichen. Als mit den Römern ab Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. ein durch gefestigtere staatliche Strukturen geprägter Akteur die Bühne betrat, erwies sich das hellenistische System – oder vielmehr die hellenistische Systemlosigkeit – als nicht überlebensfähig.
Die historische Bedeutung des Hellenismus sieht Scholz daher vor allem auf kulturellem Gebiet. Neben den bekannten künstlerischen und philosophischen Errungenschaften stand nicht nur die schiere Erweiterung der bekannten Welt durch Handels- und Entdeckungsreisen, sondern auch die Durchsetzung von Griechisch als Verkehrs- und Literatursprache überall um das östliche Mittelmeer. Diese Entwicklung begünstigte Jahrhunderte später nicht zuletzt auch die rasche Ausbreitung des Christentums und ist in ihren Auswirkungen daher mittelbar bis heute folgenreich.
Abgerundet wird die flüssig lesbare Darstellung durch hilfreiche Illustrationen (vor allem Landkarten, aber auch Kunstwerke und immer wieder Münzen, die als Mittel herrscherlicher Selbstdarstellung und Propaganda dienten). So werden die relevanten Fakten gut verständlich vermittelt, und die frischen Deutungen, die immer wieder auch Warnung vor einer Überhöhung und Romantisierung von Krieg und Aggression sind, wissen zu überzeugen.
Alles in allem bildet Der Hellenismus. Der Hof und die Welt einen gelungenen und sehr empfehlenswerten Einstieg in eine faszinierende Umbruchszeit.
Peter Scholz: Der Hellenismus. Der Hof und die Welt. München, C.H. Beck, 2015, 352 Seiten.
ISBN: 978-3406679117