Die andere Geschichte der Bibel

Er sei, so Robin Lane Fox in seinem Vorwort zu seiner Monographie Die andere Geschichte der Bibel, Atheist und glaube „an die Bibel, nicht aber an Gott“ (S. 8). Wer auf dieser Basis nun damit rechnet, in dem Buch, das historischen Kontext und Quellenwert der Bibel zum Thema hat, eine polemische Streitschrift à la Richard Dawkins zu finden, irrt, denn ein Großteil von dem, was Robin Lane Fox hier darlegt, dürfte auch für mit der historisch-kritischen Methode vertraute Gläubige nicht weiter aufsehenerregend sein.
Der Autor schildert die mehrere Jahrhunderte umfassende Entstehung der Bibel aus unterschiedlichen Texten und weiß anschaulich zu machen, dass in einer Epoche, die nur Schriftrollen als Bücher kannte, die Zusammensetzung einer Sammlung heiliger Schriften durchaus immer wieder wechseln konnte, so dass sich erst allmählich ein Kanon hinausbildete. Während er mehrere Bücher der Bibel (so etwa Hiob und Esther) als gezielt erstellte fiktive Erzählungen einstuft und weitere als zumindest literarisch überformt und in sich widersprüchlich betrachtet (z.B. die Weihnachtsgeschichte des Lukas), sieht er in anderen durchaus auf Augenzeugenberichten basierende Quellen von historischem Wert (im Alten Testament vor allem in den Geschichten vom Hof Davids, im Neuen Testament im Johannesevangelium und Teilen der Apostelgeschichte). Diese vom Untertitel – Fakt und Fiktion in der Heiligen Schrift – hervorgehobene Überprüfung der biblischen Texte auf Tatsachen macht allerdings nur einen Teil des Buchs aus, denn Lane Fox ist es noch um eine andere Form von Wahrheit in der Bibel zu tun – das, was er „menschliche Wahrheit“ nennt. Als Atheist negiert er zwar die religiöse Bedeutung der Bibel für sich selbst, hält sie aber durchaus für aussagekräftig hinsichtlich ihres Blicks auf die conditio humana. Seine Überlegungen dazu, und insbesondere auch der Vergleich mit der altgriechischen Perspektive, bleiben allerdings im Ansatz stecken. Hier wäre vielleicht doch der literaturwissenschaftliche Zugang sinnvoll gewesen, an dem Lane Fox ansonsten kein gutes Haar lässt (wie auch an anderen Formen der Bibeldeutung, die ihm nicht ausreichend begründet scheinen, wie z.B. der feministischen Theologie).
Angesichts der abschätzigen Bemerkungen, die der Verfasser darüber mehrfach macht, kann man sich eigentlich nur wundern, dass er es selbst manchmal an Stringenz und Nachvollziehbarkeit fehlen lässt. Wer anderen von mangelnder Quellenkritik bis hin zu Wunschdenken alle möglichen methodischen Schwächen unterstellt, sollte umgekehrt seine Prämissen und Wertungskriterien expliziter zu machen, als es hier geschieht. Wenn Lane Fox z.B. die vielfach als eher symbolisch zu verstehen interpretierte Geschichte um Hosea und seine untreue Frau als historisch glaubwürdig einstuft, wünscht man sich eine argumentative Begründung dafür, statt nur die Einschätzung des Autors wie ein Faktum präsentiert zu bekommen.
Darüber hinaus haben sich einige Flüchtigkeitsfehler eingeschlichen. So ist bei der Analyse des Buches Esther z.B. von „dem Juden Haman“ (S. 362) die Rede, während Haman in der Bibel eigentlich als äußerer Gegner der Juden, nicht als abtrünniger Glaubensbruder erscheint. Auch die Angabe, dass „Daniel (…) in einen glühenden Feuerofen geworfen wird“ (S. 430), überrascht, denn im Buch Daniel erleiden eigentlich drei andere Männer (Schadrach, Meschach und Abed-Nego) dieses Schicksal.
In einem 2018 verfassten Nachwort geht Lane Fox auf neuere Entwicklungen in der Wissenschaft ein (so etwa auf die archäologischen Forschungen von Finkelstein und Silberman, deren Schlüssen er kritisch gegenübersteht), legt aber zugleich auch ein gesundes Selbstbewusstsein an den Tag. Ob man seinem eigenen Werk z.B. vollmundig „die Energie und den Schwung (…), von denen sich die Leser anhaltend angetan zeigten“ (S. 539), bescheinigen muss, sei einmal dahingestellt.
Was man insgesamt von Der anderen Geschichte der Bibel halten soll, weiß man daher am Ende nicht so recht. Lane Fox ist auf seinen Kerngebieten – der griechischen und römischen Geschichte – eindeutig überzeugender als hier, und auch wenn die Lektüre passagenweise lohnend ist, sollte sie durchaus mit kritischem Blick erfolgen.

Robin Lane Fox: Die andere Geschichte der Bibel. Fakt und Fiktion in der Heiligen Schrift. Stuttgart, Klett-Cotta, 2019 (Original: 1991), 624 Seiten.
ISBN: 9783608981162


Genre: Geschichte, Kunst und Kultur