Die mutige Rebellin

Die Geschichte von Rosa Parks kennen wahrscheinlich viele aus dem Geschichts- oder Englischunterricht: Eine mutige Schwarze weigert sich in Widerspruch zu den diskriminierenden Regeln in den Südstaaten der USA, ihren Platz im Bus für einen Weißen zu räumen, und das wird zum Auslöser eines der entscheidenden Kämpfe gegen das Unterdrückungssystem der Segregation, das den Schwarzen jede Würde nimmt. Oft erscheint diese Begebenheit jedoch als rein aus der Situation heraus entstandene Auflehnung eines Durchschnittsmenschen, die dann eine Eigendynamik entwickelte, und es ist diese bestenfalls verkürzte Darstellung, gegen die Patricia Eckermann und James A. Sullivan in ihrem gemeinsamen Roman Die mutige Rebellin anschreiben.

Rosa Parks, so wird bei ihnen deutlich, war schon lange vor dem berühmten Moment eine engagierte Aktivistin, die unermüdlich für ihre Rechte kämpfte. Dass sich das falsche Bild so hartnäckig in den Köpfen festsetzen konnte, hat mehrere Gründe: Zunächst bewusst lanciert, um den Fall als Aufhänger für breitere Proteste nutzen zu können, indem man die Betroffene der Öffentlichkeit als möglichst harmlos und respektabel schmackhaft machte, hatte es auch in der Erinnerung Bestand. Das ist nicht zuletzt den Zeitumständen geschuldet: Auch in nominell progressiven Kreisen waren Frauen in der ersten Reihe nicht gern gesehen, und eine nur aus dem Augenblick heraus gegen schlechte Behandlung aufbegehrende übermüdete Näherin war als Symbolfigur leichter zu vermitteln als eine schon zuvor in einer politischen Organisation mitwirkende und zum Blick über den Tellerrand mehr als fähige Rebellin.

Ohnehin tappt das Autorenduo nicht in die Falle, die Schwarze Bürgerrechtsbewegung unkritisch zu verklären, denn so wichtig und berechtigt das Anliegen, das sie vertrat, auch war, gab es doch in ihr durchaus Probleme, nicht nur, was das Verhältnis der Geschlechter, das Machtgerangel unter Führungspersönlichkeiten oder die selbst innerhalb der Schwarzen Gemeinschaft bestehenden Vorurteile hinsichtlich der Abstufungen der Hautfarbe betraf. Auch unterschiedliche gesellschaftliche Schichten verkehrten nicht unbedingt auf Augenhöhe miteinander, im Roman eindrucksvoll gleich in einer frühen Szene im Bus – nein, nicht der Szene – eingefangen, in der zwei erfolgreiche Geschäftsleute alles andere als nett und respektvoll mit der einfachen Angestellten Rosa Parks umgehen, die zwar für dasselbe politische Ziel eintreten mag wie sie, in ihren Augen aber weit unter ihnen steht.

Rosa Parks selbst wird mit viel Einfühlungsvermögen als intelligente und zugewandte Frau geschildert, die immer nach Verbesserungen strebt (ob nun an der Nähmaschine oder auf sozialer Ebene) und tief von ihrer Familiengeschichte geprägt ist, in der mit den Großeltern noch ihr unmittelbar vertraute Verwandte die Sklaverei erdulden mussten und umgekehrt mit dem in den Norden der USA gezogenen Bruder auch jemand vorhanden ist, dessen Leben zwar nicht frei von Rassismus, aber doch von den extremen Demütigungen der Segregation ist.

Deren haarsträubendes Ausmaß wird unter anderem mithilfe einer fiktiven Gestalt hervorgehoben: Die junge Etta, mit der die Protagonistin sich anfreundet, stammt aus den Nordstaaten und muss sich, um der Liebe willen nach Alabama gekommen, mit der dort radikal anderen Situation zurechtfinden, die ihr aus eigenem Erleben ebenso unvertraut ist wie auch weiten Teilen eines heutigen Lesepublikums, in dessen Lebensrealität es zwar gewiss auch Rassismus gibt, aber eben zumindest keinen gesetzlich verankerten. Überdeutlich wird bei der Schilderung dieser Ungerechtigkeiten auch, dass sie nicht nur durch direkte Gewalt (ob wohl es auch davon mehr als genug gibt) so lange aufrechterhalten werden können, sondern auch durch die verständliche, aber oft zu mangelnder Solidarität führende Angst der Betroffenen und nicht zuletzt auch die schiere Freude kleiner Profiteure der Ungleichberechtigung daran, ihre beschränkte Machtposition auszunutzen. Wer als weißer Busfahrer oder Streifenpolizist eigentlich selbst nicht gerade zu den Spitzen der Gesellschaft zählt, kann sich zumindest den Schwarzen überlegen glauben und sich durch große und kleine Schikanen immer wieder selbst in dieser Annahme bestätigen – Mechanismen, die auch außerhalb des spezifischen historischen Kontexts zu beobachten sind und für die der Roman den Blick schärft. Spätestens, wenn auch noch „besorgte Bürger“ (S. 254) Erwähnung finden, werden die Parallelen zur Gegenwart unübersehbar.

Gleichermaßen greifbar wird jedoch auch, wie Musik, Mode, Religion, Liebe, Freundschaft, Zusammenhalt im Alltag und nicht zuletzt immer wieder auch das Essen (vom tradierten Familienkuchenrezept mit Geheimzutat bis hin zu den in Gemeinschaft genossenen Delikatessen einer brillanten Restaurantköchin) ein Gegengewicht schaffen können, um Menschen eine eigentlich unerträgliche Lebenssituation doch irgendwie bewältigen zu lassen, bis Ausdauer und Zähigkeit endlich mit echten Veränderungen belohnt werden.

Doch der Kampf um Gerechtigkeit hat seinen Preis, gesundheitlich, sozial, finanziell und vor allem auch psychisch. Schon bevor es in der Jetztzeit des Romans bedrohlich wird, zeigt sich das insbesondere an Raymond Parks (Rosas Ehemann), der sich jahrelang aufgerieben hat, um andere Unrechtsopfer (wie etwa die Scottsboro Boys) zu unterstützen, und nun schlicht am Ende seiner Kräfte ist – mit Folgen für seine Ehe. Viel besser ergeht es letztlich auch seiner Frau nicht, denn auch wenn das Buch mit dem Erfolg des Busboykotts von Montgomery eher optimistisch endet, verschweigt das Nachwort, das auch Quellen und bewusste Abweichungen vom historisch Überlieferten offenlegt, nicht, dass Ausgrenzung und Anfeindungen für Rosa Parks und ihre Familie danach so eskalierten, dass ein Wegzug in den Norden unumgänglich wurde. Die mutige Rebellin des Titels ist also in gewissem Maße auch eine tragische Gestalt, die zwar viel für andere bewirkte, der es selbst aber verwehrt blieb, Freiheit und Gleichheit in Sicherheit in ihrer Heimat erleben zu dürfen.

In mehr als einer Hinsicht könnte das Thema des Romans also schwere Kost sein, aber sowohl Eckermann als auch Sullivan sind zu schreiberfahren und begabt, um nicht zugleich eine gute und packende Geschichte zu erzählen, bei der es nichts ausmacht, dass man den Ausgang im Voraus kennt. Es bleibt durchgängig spannend, der Heldin durch ihren Alltag und ihre großen und kleinen Triumphe und Niederlagen zu folgen und tief in eine Vergangenheit einzutauchen, deren Probleme heute allenfalls in ihrer spezifischen Ausprägung, nicht jedoch grundlegend überwunden sind. Gerade in einer Zeit, in der offen rassistische Äußerungen auch in Deutschland selbst in höchsten politischen Kreisen wieder salonfähig werden, ist Die mutige Rebellin daher ein höchst aktuelles Buch, unabhängig davon aber eben auch ein ansprechender Roman, der das Kunststück fertigbringt, einen glauben zu lassen, dass reale Persönlichkeiten durchaus so gewesen sein könnten, wie sie hier geschildert werden.

Patricia Eckermann, James A. Sullivan: Die mutige Rebellin. Rosa Parks – ihr unnachgiebiger Kampf gegen die Unterdrückung wurde zur weltverändernden Bewegung. München, Piper, 2025, 448 Seiten.
ISBN: 978-3-492-06624-2

 


Genre: Roman