Die Römer in Deutschland

Die Römerzeit hat den Süden und Westen Deutschlands in vielerlei Hinsicht geprägt. Andreas Thiel bietet in seinem Bildband Die Römer in Deutschland eine gut lesbare, auf ein allgemeines Publikum zugeschnittene Einführung in Ereignis- und Kulturgeschichte der Epoche. Besondere Vorkenntnisse werden nicht vorausgesetzt, und auch bei der Bebilderung stehen Anschaulichkeit und Verständlichkeit im Vordergrund: Neben Bildern von Ruinen und archäologischen Funden nehmen Rekonstruktionen einen breiten Raum ein (ob nun Zeichnungen, Computergrafiken oder Fotos z.B. von Nachbauten römischer Häuser).

Ein umfassender Überblick über alle Fundstätten und Spezialgebiete ist dabei nicht angestrebt; eher geht es darum, anhand griffiger Beispiele Typisches herauszuarbeiten und die Grundzüge von zentralen Bereichen (wie etwa Alltagsleben, Militär oder Religion) zu skizzieren. Über einzelne Besonderheiten – z.B. die weitverbreiteten Streifenhäuer oder die für die germanischen Provinzen charakteristischen Jupitersäulen – finden sich in Kästen neben dem Fließtext genauere Informationen. So wird, angereichert um einige interessante Details, die man nicht überall findet, ein solides Basiswissen über materielle Kultur, Verwaltungsstrukturen und Weltanschauung vermittelt.

Eng mit diesen Sachthemen verwoben wird die historische Entwicklung von Caesar bis in die Spätantike nachgezeichnet. Obwohl Thiel die für die keltische und germanische Bevölkerung zunächst leidvolle Eroberung nicht beschönigt, betrachtet er die zügige Romanisierung als überwiegend positiven Prozess, der merkliche Verbesserungen im Hinblick auf Wirtschaft, Infrastruktur und Lebensqualität mit sich brachte und aufgrund der nicht nur in religiösen Dingen toleranten Haltung der Römer auch nicht mit einer kompletten Aufgabe der eigenen Kultur erkauft werden musste. Den Hauptgrund für den Untergang des römischen Reichs und seines über Jahrhunderte relativ stabilen und erfolgreichen Gesellschaftsmodells sieht Thiel in zwei zeitgleichen Entwicklungen: Während im Imperium selbst spätestens ab der Epoche der Soldatenkaiser immer mehr innere Konflikte bis hin zum Bürgerkrieg herrschten, bildeten sich in dem zuvor politisch sehr zersplitterten Gebiet jenseits seiner Grenzen zum ersten Mal dauerhaft größere Verbände heraus (wie etwa die Franken oder die Alamannen), die den geschwächten Römern militärisch gewachsen waren.

Bestimmte Traditionen überdauerten jedoch das Ende des römischen Reichs als Herrschaftsgebilde, von weiter genutzten Siedlungsplätzen bis hin zum Gebrauch der lateinischen Sprache insbesondere zu administrativen Zwecken. Dass manche dieser Kontinuitäten sich bis heute erstrecken, soll das abschließende Kapitel deutlich machen, das sich nicht nur mit dem Fortwirken der römischen Antike, sondern auch mit ihrer Erforschung seit der Renaissance befasst. Dieser Teil enthält leider Ungenauigkeiten (so ist z.B. die Aussage „Bis zum 12. Jahrhundert waren alle Texte ausschließlich in Latein verfasst“ schlicht falsch), ist aber immerhin in seinem Bemühen lobenswert, fassbar zu machen, weshalb die Römerzeit uns auch heute noch etwas angeht. Leider endet der kleine Forschungsüberblick jedoch schon in der wilhelminischen Zeit; hier hätte man sich gewünscht, auch noch die letzten hundert Jahre abgedeckt zu sehen.

Trotz dieser kleinen Schwächen kann man Die Römer in Deutschland als Wegbegleiter auf einem Streifzug durch die Antike durchaus empfehlen, weil alles Wichtige kompakt und leicht zugänglich vermittelt wird. Wer sich allerdings schon näher mit der römischen Geschichte befasst hat, wird hier sehr viel Bekanntes finden und kann aus anderen Werken vielleicht mehr Gewinn ziehen.

Andreas Thiel: Die Römer in Deutschland. Stuttgart, Theiss (WBG), 2008, 176 Seiten.
ISBN: 9783860220674


Genre: Geschichte