Die Steinzeit

Die Steinzeit ist nicht nur die älteste, sondern auch die längste Epoche der Menschheitsgeschichte. Je nachdem, wann genau man die Menschwerdung ansetzen will, begann sie vor zwei bis drei Millionen Jahren und endete in Mitteleuropa erst um 2200 v. Chr. mit dem Übergang zur Bronzezeit. Macht man sich diese gewaltigen zeitlichen Dimensionen bewusst, überrascht die kühne These weniger, mit der Almut Bick ihre Einführung in die Steinzeit einleitet: Man könne fast sagen, dass die wichtigsten Erfindungen auf technischem wie auf kulturellem Gebiet schon in den Steinzeit gelungen seien und alles Spätere nur eine Verfeinerung und Weiterentwicklung, aber keine wirklich grundlegende Neuerung mehr darstelle. Ob Werkzeug- und Feuergebrauch oder Hausbau und Kleidungsherstellung, aber auch Kunst, Musik oder sprachliche Kommunikation – all diese scheinbaren Selbstverständlichkeiten, ohne die unser heutiges Leben undenkbar wäre, finden ihre erste Ausprägung in der Steinzeit.
Den langen Weg von den Anfängen bis an die Schwelle historischer Zeiten zeichnet Bick kenntnisreich und lebendig in dreifacher Form nach. Im Abschnitt Die Steinzeit auf einen Blick wird zunächst die komplette Menschheitsentwicklung bis zum Aufkommen der Kupferproduktion im Schnelldurchlauf vorgestellt.
Die wichtigsten Grundzüge hat man daher schon parat, wenn im folgenden Teil Ein Panorama der Steinzeit der gleiche Weg noch einmal detailfreudiger und wesentlich ausführlicher anhand bedeutender archäologischer Entdeckungen nachvollzogen wird. Vom Australopithecus-afarensis-Skelett Lucy über Kunstwerke wie die Venus von Willendorf und die Höhlenmalereien von Lascaux bis hin zu Zeugnissen der Jungsteinzeit wie Stonehenge oder den Pfahlbauten im Alpenvorland, fast jeder berühmte steinzeitliche Fund findet Erwähnung. Allerdings bringt der Überblickscharakter der Darstellung es mit sich, dass auch gut Erforschtes oft nur oberflächlich gestreift werden kann (z.B. erfährt der weltbekannte Ötzi nur eine recht kurze Würdigung als Besitzer eines frühen Kupferbeils und Beispiel für die mit der Metallverarbeitung einsetzende soziale Differenzierung).
In die beiden großen Kapitel eingefügt finden sich zahlreiche Kästen und Sonderseiten zu Spezialthemen. Neben weiteren Einzelfunden werden hier z.B. auch wissenschaftliche Methoden wie Luftbildarchäologie oder Dendrochronologie allgemeinverständlich erläutert.
Im gesamten Buch liegt der geographische Schwerpunkt auf Europa und insbesondere auf Deutschland, doch eine darüber hinausgehende Perspektive wird an den passenden Stellen zumindest eröffnet, wenn auch nicht weiter ausgeführt (so erhält man z.B. den Hinweis, dass in der Jungsteinzeit Landwirtschaft und Viehzucht nicht etwa nur im vorderen Orient, sondern unabhängig voneinander in mindestens fünf Gebieten Amerikas, Afrikas und Asiens entstanden). Unterhaltsam und sympathisch ist, dass Bick sich, was die spätere Rezeption der Steinzeit betrifft, nicht auf die moderne Forschung beschränkt, sondern z.B. auch eine Sage über ein niedersächsisches Hünengrab nacherzählt. So wird deutlich, dass vorgeschichtlich Überreste schon vor dem Einsetzen der wissenschaftlichen Beschäftigung damit die Menschen faszinierten und nach einer Erklärung verlangten.
Thematisch geordnete Literaturtipps und ein nützliches Glossar runden den reich bebilderten und flüssig zu lesenden Band ab, der einen besonders gelungenen Teil der Reihe Theiss Wissen Kompakt bildet. Deren Anspruch, komplexe Themen auch für Laien verständlich zu präsentieren, wird er voll und ganz gerecht.

Almut Bick: Die Steinzeit. Stuttgart, Theiss, erweiterte Neuaufl. 2012 (Original: 2006), 180 Seiten.
ISBN: 9783806225891


Genre: Geschichte