Beim Stichwort „Römerstraßen“ denkt man sofort an die großen Überlandverbindungen, die für die Verkehrserschließung weiter Teile Europas prägend waren, aber wie sah es eigentlich mit den Straßen in der antiken Stadt Rom selbst aus? Antworten auf die Frage bietet Karl-Wilhelm Weeber in seinem neuesten populärwissenschaftlichen Buch Die Straßen von Rom.
Im Vordergrund stehen dabei nicht etwa technische Aspekte des Straßenbaus, sondern, wie der Untertitel Lebensadern einer antiken Großstadt schon ahnen lässt, die Rolle der Straßen für das Leben in der Stadt. Denn Straßen und Plätze waren – so wird rasch deutlich – im alten Rom in noch weit höherem Maße „Lebensraum“ als heute, da allein schon die beengten Wohnverhältnisse vieler Menschen dafür sorgten, dass sich Aktivitäten, die wir heute eher im häuslichen Kontext vermuten würden, ins Freie verlagerten.
Der eigentliche Straßenverkehr (mit allen damit einhergehenden Ärgernissen wie Lärm und Stau, die kein rein neuzeitliches Problem sind) ist daher nur eines unter vielen Themen, die angeschnitten werden. Straßen waren auch das Rückgrat der nachbarschaftlichen Organisation im vicus (wie man die kleinen Stadtviertel bezeichnete), Einkaufsmeilen, der Ort der täglichen Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln und der Arbeitsplatz von Akrobaten, Prostituierten, Wahrsagern und Bettlern. Allerdings hatten die Verkehrswege auch beträchtliche Schattenseiten: Müll, Schmutz und Kriminalität machten schon den Römern das Leben schwer.
Zu diesen alltäglichen Aspekten der Straße trat im alten Rom aber noch stärker und regelmäßiger als anderswo ihre Rolle als Bühne für öffentliche Auftritte und Spektakel hinzu. Der Triumphzug, der einem sofort als Beispiel dafür in den Sinn kommt, war dabei nur die eindrucksvollste und seltenste Spielart: Circusprozessionen, religiöse Umzüge, Politikerauftritte und nicht zuletzt auch prunkvolle Beerdigungen befriedigten weit häufiger die Schaulust.
Als Quellen für seine lebendige Schilderung dieses prallen Lebens nutzt Weeber nicht nur römische Prosatexte, sondern gern auch die satirischen Gedichte von Horaz, Martial und Juvenal. Bei aller gattungsimmanenten Überzeichnung sieht er hier nämlich manche Alltagsphänomene aufgegriffen, die in der zeitgenössischen Historiographie meist keine Beachtung fanden und, wie er zu Recht kritisiert, auch in heutigen Rekonstruktionsdarstellungen oft ausgeblendet bleiben.
Weeber schreibt modern, bisweilen auch umgangssprachlich und dort, wo es keine prägnante deutsche Entsprechung gibt, mit zahlreichen englischen Begriffen durchsetzt. So wird z.B. die deductio – der auf Öffentlichkeitswirksamkeit angelegte Gang eines aristokratischen Römers und seines Gefolges zum Forum – hier zum power walk (S. 139). Gelegentlich wirkt das etwas zu prononciert und gewollt, aber der um Zugänglichkeit bemühte Stil unterhält und dürfte die Hemmschwelle für das mit dem alten Rom nicht näher vertraute allgemeine Publikum, das als hauptsächliche Leserschaft anvisiert ist, niedrig halten.
Gerade angesichts dieser Zielgruppe ist es schade, dass ein ziemlich gravierender sachlicher Fehler stehen geblieben ist: Man begegnet im Buch „Messalina, Neros Mutter“ (S. 149). Auch wenn Agrippina die Jüngere in der Rückschau sicher nicht böse gewesen wäre, wenn eine andere Mutter als sie diesen Sohn bekommen hätte, hätte es doch spätestens in der Lektoratsphase auffallen müssen, dass hier zwei Frauen des Kaisers Claudius miteinander verwechselt worden sind.
Abgesehen von diesem Wermutstropfen lohnt sich die Lektüre aber durchaus, nicht nur, weil sie einmal das Rom der Durchschnittsmenschen abseits der Eliten in den Vordergrund rückt, sondern auch, weil sie auf spielerische und humorvolle Art ganz nebenbei an die lateinische Literatur heranführt.
Karl-Wilhelm Weeber: Die Straßen von Rom. Lebensadern einer antiken Großstadt. Darmstadt, Theiss (WBG), 2021, 256 Seiten.
ISBN: 978-3-8062-4303-1