Die Vandalen

Vandalen sind heute noch in aller Munde – allerdings eher selten auf die germanische Gruppierung bezogen, die diese Bezeichnung an der Schwelle von der Spätantike zum Frühmittelalter führte. Vielmehr ist die übertragene Bedeutung geläufig, die in Vandalen ausschließlich die Verursacher blindwütiger Zerstörung sieht – aber haben die historischen Namensträger diese Zuschreibung eigentlich verdient?

Konrad Vössing zeichnet in Die Vandalen ein differenziertes Bild der völkerwanderungszeitlichen Gens, deren Geschichte sich nur für etwa hundertdreißig Jahre von einem ersten massiven Angriff auf das römische Reich (Rheinübergang von 406) bis hin zur vollständigen Auflösung nach dem Ende des Vandalenreichs in Nordafrika (534) einigermaßen sicher nachverfolgen lässt. Die Frühzeit der Vandalen liegt eher im Dunkeln, wobei Vössing sie weder als Stamm noch als kriegerisches Zweckbündnis sieht, sondern sie unter Verwendung des von Reinhard Wenskus geprägten Begriffs des „Traditionskerns“ als Gemeinschaft zeichnet, deren Zusammengehörigkeitsgefühl zunächst auf historischen Narrativen, später aber auch auf der im Kontrast zum Katholizismus der Römer stehenden arianischen Ausprägung des Christentums fußte.

Gerade in dieser bewussten Abgrenzung der Vandalen von der sie umgebenden römischen Kultur sieht Vössing dabei neben politischen Fehlern eine der entscheidenden Ursachen für den raschen und vollständigen Untergang des Reichs, das sie unter ihrem ebenso langlebigen wie tatkräftigen und skrupellosen König Geiserich in Nordafrika erobert hatten, nach nur wenigen Generationen. Den Vandalen fehlte der Rückhalt in der übrigen Bevölkerung, weil sie eine Integration in die bestehende Gesellschaft – anders als etwa die Franken in Gallien oder später die Westgoten in Hispanien – weder erreichten noch überhaupt anstrebten, sondern sich zeitweise sogar durch eine Verfolgung der Katholiken oder die Missachtung ehemaliger Verbündeter unbeliebt machten. Versuche des Königs Hilderich, relativ spät in der Geschichte des Vandalenreichs doch noch eine Annäherung zwischen Vandalen und Römern durchzusetzen, stießen in der vandalischen Elite auf Ablehnung und führten letzten Endes zur Absetzung des Herrschers. Sein glücklos agierender Nachfolger Gelimer sah sich den oströmischen Truppen, die nach mehreren vergeblichen Anläufen Jahrzehnte zuvor nun endgültig die Rückeroberung der an die Vandalen verlorenen Gebiete in Angriff nahmen, nicht gewachsen.

An Vössings Interpretation der vandalischen Geschichte fällt positiv auf, dass er nicht allein die Beziehungen der Vandalen zum römischen Reich in den Mittelpunkt stellt, sondern auch Konflikte und Bündnisse der barbarischen Gentes untereinander verstärkt ins Bewusstsein ruft. Mehrfach eröffnet er dabei anregende neue Perspektiven, so etwa, wenn er anmahnt, Amalafrida, die Schwester des Ostgotenkönigs Theoderich, die den Vandalenkönig Thrasamund heiratete, als politische Akteurin ernstzunehmen und nicht als reinen Spielball der Interessen anderer zu sehen.

Dabei schreibt Vössing gut lesbar und auch für ein allgemeines Publikum eingängig und problemlos verständlich. Wenn er in seinem Schlusskapitel noch einmal den Bogen zurück zum Vandalismusbegriff schlägt, dessen Entstehung im späten 18. Jahrhundert analysiert und zu dem Fazit kommt, dass die Verbindung mit gedankenloser Verwüstung den historischen Vandalen nicht gerecht wird, ihren Namen aber immerhin im Gedächtnis hält und dadurch zur Beschäftigung mit ihnen anregt, kann man ihm nur zustimmen. Denn wie sein Buch zeigt, lohnt es sich durchaus, sich die Vandalen einmal näher anzusehen.

Konrad Vössing: Die Vandalen. München, C.H. Beck, 2018, 128 Seiten.
ISBN: 978-3-406-71881-6

 


Genre: Geschichte