Die vergessene Römerschlacht

Lange herrschte in der Geschichtswissenschaft der Forschungskonsens, dass die Römer nach den Feldzügen des Germanicus im frühen 1. Jahrhundert n. Chr. keine tiefen Vorstöße mehr nach Germanien unternommen hätten. Anderslautende Angaben in historischen Quellen, wie etwa in der spätantiken und in ihrer Zuverlässigkeit ohnehin oft angezweifelten Historia Augusta, wurden als Übertreibung oder glatte Fiktion abgetan. Insofern war es für Fachwelt wie Öffentlichkeit eine veritable Überraschung, als archäologische Untersuchungen ab 2008 am Harzhorn in Niedersachsen Spuren von Kämpfen zutage förderten, an denen ganz offensichtlich römische Truppen des 3. Jahrhunderts n. Chr. beteiligt waren.
Der an der Erforschung der Funde vom Harzhorn mitwirkende Archäologe Günther Moosbauer stellt diese titelgebende Vergessene Römerschlacht anschaulich für ein allgemeines Publikum vor und ordnet die Vorgänge umfassend in den historischen Kontext ein. Dieser füllt dementsprechend einen Großteil des Buchs, da Moosbauers Interesse stärker der longue durée als dem Einzelereignis gilt. Schon in der Germanenpolitik des Antoninus Pius im 2. Jahrhundert sieht er den Keim des von den Markomannenkriegen Marc Aurels bis in die Spätantike mit mehr oder minder starker Intensität schwelenden Dauerkonflikts: Damals sei die Chance vertan worden, frühzeitig auf Kräfteverschiebungen innerhalb des Barbaricums zu reagieren, während eine spätere Konsolidierung wiederum durch innerrömische Machtkämpfe verhindert worden sei.
Denn bei Maximinus Thrax, dem militärisch tüchtigen Kaiser, dessen 235/236 geführter Vorstoß im Harzhornereignis sichtbar wird, sieht Moosbauer durchaus das Potential zu einer langfristigen Sicherung der römischen Grenze zu Germanien. Da der selbst nur durch die Ermordung seines Vorgängers Severus Alexander zur Herrschaft gelangte Maximinus jedoch schon 238 ein gewaltsames Ende fand, bleibt diese Überlegung ein Gedankenspiel. Der Feldzug des Kaisers ins Innere Germaniens hingegen lässt sich quellenmäßig und nun auch archäologisch fassen und wird von Moosbauer in aus den Sachinformationen entwickelten kleinen Szenen verlebendigt, so dass auch Laien sich gut ausmalen können, wie die kriegerischen Aktivitäten wohl verlaufen sein mögen. Kartenmaterial und Abbildungen (von historischen Relikten, aber auch von Rekonstruktionen) tragen ebenfalls dazu bei, den Zugang zu der fernen Zeit zu erleichtern. Was aufgrund des umfassenderen Ansatzes des Buchs überwiegend fehlt, ist eine detaillierte Auseinandersetzung mit einzelnen Fundstücken vom Harzhorn; für alle, die sich dafür interessieren, ist nach wie vor der gelungene Katalog der Braunschweiger Ausstellung zum Thema von 2013 empfehlenswert (Roms vergessener Feldzug. Die Schlacht am Harzhorn, ISBN 9783806228229).
Als Überblicksdarstellung dagegen bietet Moosbauers Buch alles, was man braucht, um einen ersten Einstieg ins Thema zu finden. Nur eine gründlichere Arbeit von Lektorat und Korrektorat hätte man dem sonst so schönen Band gewünscht, denn leider sind neben einigen Flüchtigkeits- und Tippfehlern auch ein paar unglücklich formulierte und damit missverständliche Sätze stehen geblieben (etwa „Caracalla suchte häufig Heiligtümer des Apollo auf, da er unter einer psychischen Krankheit litt“, S. 44; natürlich ist gemeint, dass der Kaiser sich seines Leidens bewusst war und auf Heilung durch den Gott hoffte, aber hier stutzt man doch und fragt sich im ersten Augenblick, ob etwa ein allgemeiner Zusammenhang zwischen paganer Religionsausübung und mangelnder seelischer Gesundheit postuliert werden soll).
Insgesamt fallen diese kleinen Schönheitsfehler jedoch nicht sehr ins Gewicht. Wer eine an einem archäologische fassbaren Kampf festgemachte Zusammenfassung der römischen Außenpolitik des 2. und 3. Jahrhunderts zwischen Germaneneinfällen und Auseinandersetzungen mit den Sassaniden sucht, kann also mit der Vergessenen Römerschlacht eigentlich nicht viel falsch machen.

Günther Moosbauer: Die vergessene Römerschlacht. Der sensationelle Fund am Harzhorn. München, C. H. Beck, 2018, 201 Seiten.
ISBN: 9783406724893


Genre: Geschichte