Fürsten im Fadenkreuz

Beim Gedanken an Kriege im Mittelalter sieht man spontan wohl vor allem Ritter und Bogenschützen oder Mauern und Belagerungsmaschinen vor seinem inneren Auge. Dass es jedoch auch in Hoch- und Spätmittelalter schon Geheimoperationen und Spezialkommandos gab, die mit dem offenen Kampf wenig zu tun hatten, zeigt der Historiker Yuval Noah Harari in seinem Buch Fürsten im Fadenkreuz: Mordanschläge, Entführungen, Bestechungen und Sabotageakte waren oft wirksame Mittel, um politische wie militärische Ziele durchzusetzen.

Den Einstieg bildet dabei der Überblicksabschnitt „Spezialkommandos, Strategie und Politik im Zeitalter der Ritter“, in dem Harari sich dem Thema analytisch nähert. Die Erkenntnis, dass auch im Mittelalter trotz aller Lippenbekenntnisse zur Ritterlichkeit List, Tücke, Grausamkeit und Skrupellosigkeit an der Tagesordnung waren, überrascht dabei nicht unbedingt. Interessanter ist die Beobachtung, dass sich Geheimoperationen anders als in späteren Epochen schon aus Gründen des technischen Aufwands weit seltener gegen die Infrastruktur als gegen Personen richteten. Dennoch bleibt dieser Abschnitt des Buchs der schwächste, weil Harari in seiner Argumentation unterschiedliche Phänomene vermischt, so dass einige der von ihm gewählten Beispiele eher diskussionswürdig als auf den ersten Blick einleuchtend wirken. So zählt Harari im Kontext von „Mord und Entführung als Mittel der Kriegsführung“ (S. 62) etwa auch den Tod Heinrichs IV. von Frankreich (1610) auf. Nun ist zwar über mögliche Strippenzieher dieses Attentats viel spekuliert worden, aber nach allem, was man weiß, war der Mörder, François Ravaillac, ein fanatischer Einzeltäter. Wenn somit schon jemand, den man heute eher als Terroristen einstufen würde, als „Spezialkommando“ zählt, ergibt sich daraus eine beträchtliche begriffliche Unschärfe.

Seine Stärken ausspielen kann Harari dagegen bei den anschließenden sechs Fallstudien, denen jeweils ein eigenes Kapitel gewidmet ist. In fünfen geht es um Einzelaktionen (zwei Versuche, zwecks Eroberung heimlich in Städte einzudringen, eine Gefangenenbefreiung, einen politischen Mord und die Zerstörung einer logistisch wichtigen Mühle), in einem weiteren dagegen wird die Geschichte des spätmittelalterlichen Burgund skizziert, das der Autor insbesondere unter Karl dem Kühnen als wahren Schurkenstaat zeichnet, in dem die Entführung oder Ermordung fremder Staatsoberhäupter quasi zum Tagesgeschäft gehörte. Hier erweist sich Harari als begnadeter Erzähler, der historische Ereignisse romanhaft packend heraufbeschwört und dabei seinen Sinn für Humor unter Beweis stellt (wenn er z.B. mit Hingabe schildert, wie beim heimlichen Eindringen von Kreuzrittern ins belagerte Antiochia 1098 ausgerechnet zum schlechtesten Zeitpunkt die einzig verfügbare Leiter nachgibt). Weniger abwechslungsreich als die spannenden Schilderungen gestaltet sich allerdings die geographische Schwerpunktsetzung: Vielleicht den Forschungsinteressen des Autors geschuldet, bilden neben den hochmittelalterlichen Kreuzfahrerstaaten das spätmittelalterliche Frankreich und seine Peripherie den zweiten Schauplatz, während Fälle aus Nord-, Ost- oder Südeuropa fehlen.

Die Übersetzung von Andreas Wirthensohn ist insgesamt gelungen, doch man hätte ihr ein gründlicheres Lektorat gewünscht. Mehrfach finden sich kleinere sprachliche Merkwürdigkeiten (z.B. „Gebärmuttern“, S. 198, statt „Gebärmütter“ als Plural von „Gebärmutter“ oder „Hersteller von Kürassieren“, S. 105, wenn ein Harnischmacher gemeint ist). Daneben sind leider auch inhaltliche Flüchtigkeitsfehler stehen geblieben. So wird etwa im Stammbaum des Hauses Valois auf S. 201 Eduard II. von England fälschlich als Sohn und nicht etwa als Schwiegersohn Philipps IV. von Frankreich geführt und im Fließtext einmal versehentlich Johann Ohnefurcht als Vater statt als Großvater Karls des Kühnen bezeichnet (S. 227, zuvor im Buch jedoch richtig). Auffällig ist auch die Uneinheitlichkeit der Ortsnamenübersetzung: Bei „Tongres“ (Tongern) und „Morat“ (Murten) bleibt die französischen Namensformen unübersetzt, aber es ist von „Lüttich“ statt von „Liège“ die Rede.

Dementsprechend schwer fällt ein Gesamturteil über den Band. Einerseits bietet er anregende und unbestreitbar unterhaltsame Lektüre über ein sonst oft allenfalls am Rande beleuchtetes Themenfeld der mittelalterlichen Geschichte, andererseits empfiehlt es sich, ihn durchaus mit kritischem Blick zu lesen.

Yuval Noah Harari: Fürsten im Fadenkreuz. Geheimoperationen im Zeitalter der Ritter 1100-1550. München, C.H. Beck, 2020 (Originalausgabe: 2007), 348 Seiten.
ISBN: 978-3406750373


Genre: Geschichte