Geister, Hexen, Menschenfresser

Geister, Hexen, Menschenfresser – der Titel verweist ins Reich der Schauergeschichten, und tatsächlich verspricht der Untertitel von Rudolph Kremers Buch auch Gruselgestalten im alten Rom. Das greift allerdings fast zu kurz, denn auch wenn es unter anderem um Spuk und Fabelwesen geht, spielen auch Aberglauben und Alltagsleben der Antike in die Darstellung mit hinein, die also viel mehr als nur ein Kompendium unheimlicher Imagination bietet.

Mit ein Grund dafür dürfte sein, dass zumindest einige der angekündigten Gruselgestalten gar nicht ausschließlich grausig, sondern eher ambivalent sind. So hängt es nach römischer Überzeugung zum Beispiel bei den Totengeistern, die neben Naturgeistern wie Nymphen und Faunen das erste Kapitel bevölkern, im hohen Maße vom Umgang der Lebenden mit ihnen und den Überresten ihrer Körper ab, ob sie erschreckende Aktivitäten entfalten oder zu wohlwollenden Laren werden, die Schutz und Hilfe bieten.

Auch bei den im Mittelpunkt des zweiten Kapitels stehenden Zauberkundigen, denen in der römischen Literatur alle möglichen Schandtaten bis hin zu grausamen Kinderopfern zugeschrieben werden, ist auf den zweiten Blick eine große Bandbreite feststellbar: Ist es in der Fiktion oft die (weibliche) Hexe, die Böses im Sinn hat, traten im realen Leben Männer wie Frauen als Magieexperten auf, die zwar einerseits oft in die Nähe verachteter Gewerbe wie der Prostitution gerückt wurden, andererseits aber auch positiv konnotierte Dienstleistungen etwa auf dem Gebiet der Heilkunde anboten. Ob man an die Wirksamkeit magischer Praktiken glaubte, war allerdings auch im alten Rom schon Ansichtssache: Skeptische Meinungen sind durchaus überliefert, aber archäologische Funde wie z.B. die zahlreichen Fluchtäfelchen deuten darauf hin, dass viele Menschen dennoch auf Zauberei setzten.

Ohne reale Entsprechung sind Untote, Blutsauger und Menschenfresser, die im dritten Kapitel ihr Unwesen treiben. Anders als heute war manche Monsterrolle dabei geschlechtsspezifisch besetzt: So sind antike Vampire in Gestalt der Empusen, die es auf junge Männer abgesehen haben, weiblich, während man sich Werwölfe männlich vorzustellen hat. Das letzte Kapitel um Riesen und Monster im alten Rom lässt schließlich allerlei Fabel- und Mischwesen auftreten, von denen viele wie z.B. die Sirenen aus der klassischen Mythologie bekannt sind. Doch auch ungewöhnlichere und heutzutage der Allgemeinheit unbekanntere Geschöpfe finden sich hier, so etwa der Leucrocotta, der mit Hirschbeinen, Löwenkörper und Dachskopf ausgestattet ist und mit menschlicher Stimme seine Opfer anlockt – vermutlich, um Rache für auf der Jagd erlegte Wildtiere zu nehmen.

Illustriert ist der Band nicht nur mit Fotos antiker Kunstwerke aller Art (und einzelner mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Bilder, die von Schilderungen aus dem Altertum beeinflusst sind), sondern auch mit modernen Zeichnungen und Gemälden zum Thema, an denen vor allem Pulp-Fans ihre helle Freude haben dürften. Rätselhaft bleibt allerdings, warum als Begleitung zu einer Begebenheit um römische Soldaten und eine drachenhafte Riesenschlange in Afrika ausgerechnet das Foto einer Schlange zum Einsatz kommt, bei der es sich laut Bildunterschrift um eine „Anakonda aus Lateinamerika“ (S. 107) handelt, deren Berührungspunkte mit dem alten Rom ja doch eher gering sein dürften.

Insgesamt aber gelingt es Rudolph Kremer gut, aufzuzeigen, dass schon in römischer Zeit das Verhältnis zu vermeintlichen übernatürlichen Bedrohungen zwischen allgemein menschlichen Ängsten und Spaß am vergnüglichen Grusel (etwa in der Unterhaltungsliteratur oder beim Austausch von Erzählungen beim Gastmahl) changierte. Während die spezifische Ausprägung der besprochenen Spukgestalten in der römischen Kultur verankert war, sind die grundlegenden Tendenzen daher auch für uns Heutige noch nachvollziehbar. Wer Rom also einmal von seiner Nachtseite kennenlernen und ein paar schaurige bis amüsante Geschichten über menschenfressende Drachen oder Politiker bei okkulten Aktivitäten mitnehmen möchte, findet hier die richtige Lektüre.

Rudolph Kremer: Geister, Hexen, Menschenfresser. Gruselgestalten im alten Rom. Darmstadt, Philipp von Zabern (WBG), 2021, 112 Seiten.
ISBN: 978-3-8053-5300-7 (Sonderheft der Zeitschrift „Antike Welt“; ISBN Buchhandelsausgabe: 978-3-8053-5299-4)

 


Genre: Geschichte, Kunst und Kultur