Girls, Goddesses & Giants

Als sie einer Gruppe von Neunjährigen einmal eine Geschichte erzählte – so die Autorin Lari Don in ihrem Nachwort -, machte sie aus einem Drachentöter spontan eine Drachentöterin, um dem ewigen Klischee der passiven Frau zu entkommen, die nur als Siegespreis für den Helden taugt, aber selbst wenig unternehmen darf.
Bei den Kindern war die abgewandelte Version ein voller Erfolg, für Don aber letzlich unbefriedigend, weil sie ihr Quellenmaterial massiv hatte verändern müssen. Inspiriert von der Erfahrung ging sie daher auf die Suche nach alten Mythen, Sagen und Märchen, bei denen schon im Original eine Frau oder ein Mädchen die Heldenrolle einnimmt. Das Ergebnis liegt in dem handlichen Bändchen Girls, Goddesses & Giants vor, in dem Heldinnen aus aller Welt durchaus kindgerecht, aber nicht verniedlicht präsentiert werden.
Gottheiten wie Inanna und Durga sind ebenso vertreten wie zahlreiche Sagen- und Märchenfiguren (z.B. ein patentes Rotkäppchen aus einer frühen Fassung der Geschichte); mit Telesilla kommt sogar eine legendenumwobene historische Gestalt zum Zuge. Ebenso weit gespannt wie der Jahrtausende umfassende zeitliche Bogen ist der geographische Rahmen, der Europa, Asien, Afrika und Amerika abdeckt.
Don erzählt ihre Variante von zwölf ganz unterschiedlichen Geschichten, deren Quellen jeweils im Nachwort offengelegt werden, mit viel Verve und Humor und verleiht so selbst den ältesten Sagen einen Hauch moderner Leichtigkeit. Bei allem Respekt vor der Tradition ironisiert sie treffsicher problematische Aspekte: So wird die klassische böse Stiefmutter als nicht mit den viel netteren Exemplaren aus dem wahren Leben vergleichbar eingeführt, und dass Inanna sich als Göttin zu gut ist, sich die Hände schmutzig zu machen, und daher eine menschliche Begleiterin fürs Grobe benötigt, ist ebenfalls ein paar Spitzen wert.
Abgesehen von dieser Vorliebe für augenzwinkernde Seitenhiebe auf fragwürdige Elemente der Überlieferung ist das Vergnügen der Autorin an schwungvollen Actionszenen und gekonnt geschilderten Monstern unverkennbar. Ob nun Seeschlange, Drache oder Dämon, geheimnisvolle sumerische Ungeheuer oder der gestaltwandelnde Wolf, dem Rotkäppchen begegnet, die Antagonisten werden so liebevoll in Szene gesetzt wie die Heldinnen, die ihnen unweigerlich das Handwerk legen.
Zur charmanten Atmosphäre des Buchs tragen in hohem Maße auch Francesca Greenwoods scherenschnittartige Illustrationen bei, die charakteristische Elemente der einzelnen Geschichten aufgreifen, durch ihre Silhouettenhaftigkeit aber der Phantasie breiten Raum lassen.
Girls, Goddesses & Giants bietet übrigens nicht nur für eine junge Leserschaft einen amüsanten und einfachen Zugang zu sonst weitverstreuten Überlieferungen. Erwachsene werden das Büchlein zwar schnell verschlungen haben, aber um einen ersten Eindruck davon zu gewinnen, dass die traditionellen Erzählungen der verschiedensten Kulturen mehr starke und kämpferische Frauen als vielleicht erwartet zu bieten haben, eignet es sich allemal.

Lari Don: Girls, Goddesses & Giants. Stories of Heroines from around the World. London, A & C Black (Bloomsbury), 2013, 126 Seiten.
ISBN: 9781408188224

 


Genre: Kinderbuch, Märchen und Mythen