Der Gladius, das Kurzschwert, zählte zu den wichtigsten Waffen römischer Soldaten. Um diese – konkret um Roms Legionen in Germanien – geht es in Thomas Fischers spannender Überblicksdarstellung, in der er kenntnisreich und prägnant das spannungsgeladene Verhältnis zwischen Römern und Germanen unter Betonung der militärhistorischen Aspekte schildert.
Schon seit dem Zusammenstoß Roms mit den Kimbern und Teutonen, dann aber spätestens von den Feldzügen Caesars an bis in die Spätantike flammte der Konflikt zwischen dem römischen Reich und wechselnd zusammengesetzten germanischen Gruppierungen immer wieder neu auf. Gleichwohl kam es auch zu Austausch oder sogar Kooperation: So dienten häufig Germanen im römischen Militär, und was Kleidung und Bewaffnung betraf, lernte man mit der Zeit viel vom jeweiligen Gegner. Insofern mutet es geradezu folgerichtig an, dass mit dem Frankenreich einer der langlebigsten Nachfolgestaaten des Imperium Romanum gerade aus einer Synthese germanischer und römischer Elemente hervorging. Als große vertane Chance der Geschichte sieht Fischer es denn auch, dass Kaiser Antoninus Pius es im 2. Jahrhundert ablehnte, schon frühzeitig aufnahmewillige Germanen ins römische Reich zu integrieren; auf diesem Wege wären möglicherweise manche Verwerfungen der späteren Völkerwanderungszeit zu verhindern gewesen.
Das Buch ist chronologisch aufgebaut und gibt unter Berücksichtigung sowohl von Schriftquellen als auch von archäologischen Funden die bewegte Ereignisgeschichte von der Zeit Caesars bis zum Ende des weströmischen Reichs wieder. Eingefügt in dieses Kontinuum sind separate Kapitel, die Bewaffnung, Ausrüstung, Wehrbauten und militärische sowie administrative Infrastruktur der jeweils behandelten Epoche bis ins Detail vorstellen. Besonders herausragende archäologische Fundplätze und Funde vom Römerkastell bis zum germanischen Fürstengrab erfahren dabei in eigenen kleinen Abschnitten eine besondere Würdigung. Auch wenn der Buchtitel zunächst eine Konzentration auf die römische Seite nahezulegen scheint (die natürlich durch ihre Schriftkultur auch um einiges besser dokumentiert ist), kommt der Blick auf ihre germanischen Gegner dabei nie zu kurz. Auch Vor- und Frühgeschichtsinteressierte, denen die Verhältnisse in der Germania Magna stärker am Herzen liegen als die in den römischen Provinzen, finden hier also zahlreiche für sie wertvolle Informationen.
Fischers Stil liest sich angenehm und flüssig. Missverständliche Formulierungen finden sich nur an ganz wenigen Stellen (wenn es etwa heißt, dass „auch der hl. Augustinus den Vandalen zum Opfer“ gefallen sei, S. 257, könnte man das so fehldeuten, dass Augustinus durch direkte Gewalt der Vandalen zu Tode gekommen sei; nach allem, was wir wissen, starb er zwar während der Belagerung der Stadt Hippo Regius durch die Vandalen, aber krankheitsbedingt).
Besonders hervorzuheben ist die üppige Bebilderung des Bands, die über hilfreiches Kartenmaterial und Fundillustrationen hinaus auch anschauliche Rekonstruktionen zu bieten hat. Besonders die Zeichnungen von Boris Burandt, dessen einprägsame Arbeiten schon in der Braunschweiger Ausstellung (2013/2014) zur Schlacht am Harzhorn Römer und Germanen wieder zum Leben erweckten, stechen hier hervor.
Obwohl Thomas Fischer in aller wissenschaftlichen Redlichkeit betont, dass der Erkenntnisstand von Archäologie und Geschichtswissenschaft notwendigerweise immer unvollständig und zeitverhaftet bleibt, hat Gladius dank all dieser Vorzüge durchaus das Zeug dazu, zu einem Klassiker zu werden. Wer einen Überblick über die Militärgeschichte der Römer in Germanien gewinnen will, kann derzeit kein besseres Buch finden.
Thomas Fischer: Gladius. Roms Legionen in Germanien. Eine Geschichte von Caesar bis Chlodwig. München, C.H. Beck, 2020, 344 Seiten.
ISBN: 978-3-406-75616-0