Kunst der Vorzeit. Felsbilder aus der Sammlung Frobenius

Seit im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert in Spanien und Frankreich steinzeitliche Höhlenmalereien entdeckt und als prähistorisch erkannt worden waren, wuchs nach und nach auch das Interesse der Forschung an Felsbildern auf anderen Kontinenten. Einer der Vorreiter der Beschäftigung damit war der Ethnologe Leo Frobenius, der zwischen 1904 und 1938 zahlreiche Expeditionen insbesondere nach Afrika ausrichtete, um Malereien und Steinritzungen zu untersuchen. Da er der Fotografie bis zu einem gewissen Grade misstraute, ließ er von Mitarbeitern seines Instituts unzählige, oft sehr großformatige Kopien der Felsbilder anfertigen. Sie stehen im Mittelpunkt von Kunst der Vorzeit, dem Katalog der gleichnamigen, von Januar bis Mai 2016 im Berliner Martin-Gropius-Bau gezeigten Ausstellung.
Der Titel ist allerdings etwas irreführend: Der prähistorischen Kunst selbst ist nur ein sehr kurzer Textabschnitt gewidmet. Im Mittelpunkt der verschiedenen hier versammelten Aufsätze stehen vielmehr Entstehungs-, Ausstellungs- und Wirkungsgeschichte der Kopien und die Lebenswege ihrer Schöpfer.
Die einprägsamste Gestalt ist sicher Leo Frobenius selbst, der als Persönlichkeit voller Widersprüche erscheint. Als exzentrischer Autodidakt wurde er zum international geachteten Ethnologen, der sich einerseits immer wieder mit den Mächtigen seiner Zeit (von Kaiser Wilhelm II. über Hindenburg bis hin zu Hitler) zu arrangieren wusste, um finanzielle Unterstützung für seine Expeditionen einzuwerben, andererseits aber seinem eigenen Weg treu blieb und dabei unkonventionelle und zum Teil erstaunlich modern wirkende Ansichten vertrat.
So beklagte er in einer Epoche, in der Außereuropäisches oft noch pauschal als rückständig und minderwertig wahrgenommen wurde, dass „unter dem Einflusse des europäischen Wirtschaftslebens jetzt die afrikanische Kultur zersetzt wird“. Seine Forschungen sah er auch als Möglichkeit, anhand ähnlicher Motive in prähistorischen Darstellungen die gemeinsamen Ursprünge und das Verbindende unterschiedlicher Kulturkreise und Kunstrichtungen zu betonen. Darüber hinaus ermöglichte er Malerinnen und Wissenschaftlerinnen, an seinem Institut und auf seinen Reisen gleichberechtigt mit ihren männlichen Kollegen zu arbeiten. Umgekehrt identifizierten sich besonders diese Frauen, deren Karrieremöglichkeiten anderswo eingeschränkter gewesen wären, sehr stark mit der Felsbildforschung und waren bereit, sich dafür aufzuopfern und große Risiken in Kauf zu nehmen.
Die oft abenteuerlichen Bedingungen, unter denen die Kopien vor Ort erstellt wurden, die eingesetzten künstlerischen Techniken und die – heute zum Teil überholten – Forschungsmeinungen von Frobenius und seinen Kollegen bilden aber nur einen der Schwerpunkte des Bandes. Mindestens ebenso wichtig ist die Wirkung, die von den Kopien in Europa und Nordamerika ausging, wo sie in Ausstellungen zu wahren Publikumsmagneten wurden.
Neben dem Interesse an den Felsbildern als historischen Zeugnissen, deren Originale oft in schwer zugänglichen Gebieten lagen, spielte dabei bald auch der künstlerische Blickwinkel eine Rolle. Viele zeitgenössische Maler insbesondere des Expressionismus (z.B. Ernst Ludwig Kirchner) kamen durch die Felsbildkopien mit prähistorischer Kunst in Kontakt und ließen sich davon inspirieren. Die mit dieser Thematik befassten Beiträge des Bands machen sehr schön sowohl die schöpferische Fruchtbarkeit dieser Auseinandersetzung als auch ihre Problematik deutlich, diente doch die Aneignung exotischer und vermeintlich „primitiver“ Kunstformen nicht selten der verfehlten Rückprojektion eigener Ideale.
So viel Spannendes und Anregendes sich aus Kunst der Vorzeit also lernen lässt, den eigentlichen Reiz des schönen Bildbands machen neben zahlreichen Fotos von Expeditionen und Ausstellungen vor allem die großformatigen Reproduktionen der Felsbildkopien aus. Der Verzicht auf eine Hochglanzoberfläche zugunsten eines matteren Papiers fängt die Anmutung der oft mit Aquarell- oder Leimfarben gefertigten Gemälde sehr gut ein, und ausklappbare Tafeln vermitteln zumindest ansatzweise einen Eindruck von der oft beachtlichen Ausdehnung. Daher lässt es sich auch wunderbar in dem Buch versinken, um einfach nur für eine Weile in den von ihrem Ursprung her sehr fernen, aber doch unmittelbar berührenden Bildern von Wildtieren, Menschen und merkwürdigen Mischwesen zu schwelgen.

Hélène Ivanoff, Karl-Heinz Kohl, Richard Kuba (Hrsg.): Kunst der Vorzeit. Felsbilder aus der Sammlung Frobenius. München, Prestel, 2016, 270 Seiten.
ISBN: 9783791355030


Genre: Kunst und Kultur