Mérovingiens dans le Jura

Ein schmales, ursprünglich als Ausstellungebegleitband konzipiertes Heftchen über die Merowinger im Jura – kann man daraus überhaupt etwas über die Epoche lernen? Sehr viel sogar, denn in Sachen Alltagsgeschichte der Merowingerzeit sind nur wenige Bücher so anschaulich wie Mérovingiens dans le Jura, was nicht allein den gelungenen Rekonstruktionszeichnungen von Nicolas Weis zu verdanken ist. Vielmehr werden hier auf ein allgemeines Publikum zugeschnitten, aber punktuell erstaunlich detailliert wesentliche Aspekte des Alltagslebens im französischen Jura zwischen 400 und 600 n.Chr. vorgestellt.
Zu Beginn des Frühmittelalters zunächst burgundisches Gebiet, fiel der Jura 534 an die Franken, die sich mit der ansässigen Bevölkerung aus Romanen und Burgundern bald vermischten und den weiterbestehenden regionalen Traditionen z.B. neue Bestattungssitten hinzufügten. Die Gräberfelder von Crotenay, Monnet-la-Ville, Largillay und Saint-Vit bilden dementsprechend auch Schwerpunkte der archäologischen Erforschung und verraten viel über den körperlichen Zustand der damaligen Bevölkerung. Während manche Erkrankungen wie Karies oder Krebs auch in der heutigen Zeit noch wohlbekannt sind, deuten die Kampfverletzungen, die manche Skelette aufweisen, auf sehr unruhige Zeiten vor 1500 Jahren hin. Schmuck, Waffen, Gefäße und Trachtbestandteile, die als Grabbeigaben gefunden wurden, sind in qualitativ hochwertigen Fotos präsent, auf denen sich auch Details noch gut erkennen lassen. Eine lokale Besonderheit sind dabei die insbesondere in Kirchen gefundenen Steinsarkophage.
Nach welchem standardisierten Prinzip diese hergestellt wurden, ist in Grafiken ebenso liebevoll aufbereitet wie die Technik der oft filigranen Tauschierungen, mit denen etwa prunkvolle Gürtelschnallen verziert sind. Auch die Herstellung von Klingen und Geschirr wird gut nachvollziehbar geschildert. Erkenntnisse aus der experimentellen Archäologie kommen ebenfalls nicht zu kurz (so beispielsweise, wie lange es dauert, die in manchen Gräbern in Fragmenten erhaltenen Textilien nachzuweben – bei einem 33 cm breiten Webstück mit Rautenmuster schafft man in der Stunde offenbar etwa 10 cm, nicht eingerechnet das aufwendige Bespannen des Gewichtswebstuhls).
Etwas knapper abgehandelt als die Handwerkstechniken werden die Christianisierung (die sich nicht nur in Heiligenviten und Kirchenbauten, sondern auch im Auftauchen biblischer Motive in der Kunst niederschlug – so ist etwa Daniel in der Löwengrube auf einem Bronzebeschlag zu sehen) sowie Wohnverhältnisse und Landwirtschaft (am Beispiel eines in Pratz ergrabenen Bauernhofs mit Brunnen und Schmiede, auf dem neben Viehzucht und Ackerbau auch die Jagd eine Rolle spielte und offenbar Tauschhandel mit recht entfernt gelegenen Regionen betrieben wurde).
Trotz dieser Ungleichgewichtung der Themen bietet der von einer knappen Liste weiterführender Literatur abgerundete Band gerade auch durch seine reiche Bebilderung die Möglichkeit, der Lebenswelt von Durchschnittsmenschen in der Merowingerzeit abseits von Königshöfen und Klöstern ungewöhnlich nahe zu kommen. Wer sich nicht auf die hier bestenfalls kursorisch gestreifte Ereignisgeschichte konzentrieren möchte, sondern lieber wissen will, wie die beeindruckenden archäologischen Funde aus dem frühen Mittelalter entstanden sind und eingesetzt wurden, findet hier einen optimalen niedrigschwelligen Zugang, der nicht nur beim Lesen, sondern auch beim Betrachten immer wieder viel Freude macht.

Marie-Jeanne Roulière-Lambert, Gilles Desplanque, Henri Gaillard de Sémainville (Hrsg.): Mérovingiens dans le Jura. Lons-le-Saunier, Centre Jurassien du Patrimoine / Musée d’archéologie, 2004, 64 Seiten.
ISBN: 2905854421


Genre: Geschichte