Die Militärgeschichte des Mittelalters ist – so führt Martin Clauss in seiner Einleitung zu dem gleichnamigen Band aus – in mehrerlei Hinsicht ein problematisches Gebiet, einmal aufgrund der Quellenlage, die für einen großen Teil des Jahrtausends zwischen 500 und 1500 zu wünschen übrig lässt, dann aber auch, weil die deutsche Forschung der englischen und französischen um mehrere Jahrzehnte hinterherhinkt, da das Thema nach Nazizeit und Zweitem Weltkrieg hierzulande nachvollziehbarerweise mit großer Skepsis betrachtet wurde.
Vielleicht auch dadurch bedingt, wechselt der geographische Schwerpunkt in der chronologisch aufgebauten Militärgeschichte des Mittelalters relativ häufig. Clauss greift oft gut Bekanntes und Erforschtes heraus, so dass man nach der ohnehin nicht mit modernen Ländergrenzen in Deckung zu bringenden Situation unter den Merowingern und Karolingern zunächst etwas über die Ottonenzeit erfährt, um dann durch einen Schwenk zur Schlacht von Hastings (1066) kurzzeitig nach England versetzt zu sein, bevor nach einem Blick auf das Rittertum allgemein und die Verwerfungen der Salierzeit die Kreuzzüge im Vordergrund stehen. Mit Bouvines (1214) und Dürnkrut (1278) werden exemplarisch zwei Schlachten des 13. Jahrhunderts abgehandelt, während das 14. Jahrhundert weniger ereignishistorisch als soziokulturell und waffentechnisch skizziert wird, um die wachsende Bedeutung der Infanterie herauszuarbeiten. Ein eigenes Kapitel ist dem Hundertjährigen Krieg zwischen England und Frankreich gewidmet, während für das ausführlich betrachtete Spätmittelalter neben einer Analyse des Bedeutungsgewinns von Städten und der Erfindung von Feuerwaffen der deutschsprachige und daneben der burgundische Raum zum Hauptschauplatz des Buches werden, wenn man von einigen Ausflügen nach Osteuropa absieht.
Das Ergebnis ist eine Einführung, aus der man zahlreiche Informationen über das Phänomen Krieg im Mittelalter entnehmen kann, die aber gelegentlich eher einen Flickenteppich von Einzelbeobachtungen bietet, als Entwicklungslinien kontinuierlich nachzuzeichnen. Am klarsten gelingt das noch bei den technischen Aspekten von Kriegführung (wie der Bedeutung unterschiedlicher Waffengattungen), denn hier weiß Clauss deutlich zu machen, dass die Frühe Neuzeit nicht unbedingt einen revolutionären Umbruch brachte, sondern an zahlreiche schon innerhalb des Mittelalters begonnene Veränderungen anknüpfte.
Seine größte Stärke hat das Buch in der Betrachtung des ideellen Zugangs der Zeitgenossen zum Krieg und der ethischen Fragen, die sich daraus ergaben. Insbesondere das Spannungsverhältnis zwischen der gewaltfeindlichen Ausrichtung des Christentums und den Umdeutungen, die nötig waren, um dennoch Kämpfe unter christlichen Vorzeichen bis hin zu Glaubenskriegen wie den Kreuzzügen zu rechtfertigen, wird differenziert herausgearbeitet. Ein weiterer Pluspunkt ist, dass Clauss nie die Situation der Zivilbevölkerung aus dem Blick verliert (auch wenn – wie er ebenfalls aufzeigt – je nach Situation die Grenzen zu den Kämpfenden fließend sein konnten). So erfährt man auch, dass es von Personenkreisen, denen Kriege materielle Vorteile und zentrale Komponenten für ihr Selbstbild lieferten (ob nun Ritteradel oder Söldner), bis hin zu entschiedenen Kriegskritikern schon im Mittelalter Menschen mit ganz unterschiedlicher Haltung zu militärischer Gewalt gab.
Trotz aller geographischen und thematischen Sprunghaftigkeit kann man die Militärgeschichte des Mittelalters daher durchaus mit Gewinn lesen und dabei auch verblüffende Quellendetails entdecken (wie etwa die Tatsache, dass ein gewiefter Kämpfer am Geruch eines Pferdeapfels erkennt, dass mit Gerste gefütterte Streitrösser und nicht etwa harmlose, auf der Weide gehaltene Tiere in der Nähe sind). Es schadet aber eindeutig nichts, schon ein paar Grundkenntnisse über die Epoche mitzubringen, um das Geschilderte in einen umfassenderen Kontext einordnen zu können.
Leider hat das Lektorat hier und da Tipp- und Flüchtigkeitsfehler übersehen, die im Einzelfall irreführend wirken (z.B. ist die Angabe, der als Geschichtsschreiber der ottonischen Zeit bekannte Widukind von Corvey sei „nach 793“ gestorben – S. 35 – sachlich nicht völlig falsch, aber bei einer Person, die erst im 10. Jahrhundert überhaupt geboren ist, naturgemäß wenig aussagekräftig).
Martin Clauss: Militärgeschichte des Mittelalters. München, C.H. Beck, 2020, 128 Seiten.
ISBN: 978-3-406-75752-5