Römer und Germanen am Main

Geht es um Funde aus der Römerzeit am Main, denkt man spontan meist an die archäologisch gut erschlossenen Gebiete im heutigen Hessen. Dass es auch weiter östlich viel Spannendes aus der Epoche zu entdecken gibt, beweist der Archäologe Bernd Steidl mit Römer und Germanen am Main. Anders als man vielleicht auf den ersten Blick vermuten könnte, handelt es sich dabei nicht um eine Monographie, sondern um eine Sammlung überwiegend schon an anderer Stelle veröffentlichter Aufsätze (der älteste stammt aus den späten 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts). Zu größeren Überarbeitungen der einzelnen Beiträge scheint es im Zuge der Neuedition nicht gekommen zu sein, allerdings ist teilweise zusätzliches Bildmaterial eingefügt worden.
Zu drei großen Abschnitten geordnet schildern die Einzeluntersuchungen in der Zusammenschau zunächst die historische Entwicklung am Main von den Kelten bis zum Ende der Römerzeit, um dann die germanischen Siedlungen am Maindreieck in den Blick zu nehmen und sich schließlich detailliert der Benefiziarierstation von Obernburg am Main zu widmen. Obwohl man dabei aufgrund der Genese des Buchs aus ursprünglich für sich stehenden Texten einige Wiederholungen in Kauf nehmen muss, ergibt sich nach und nach das faszinierende Gesamtbild einer kulturell heterogenen Region, in der eine zunächst primär keltische Bevölkerung im 1. Jahrhundert v. Chr. von germanischen Gruppen verdrängt wurde, teilweise aber auch in ihnen aufging. Nach der römischen Eroberung West- und Süddeutschlands um Christi Geburt verlieft durch das Maingebiet jahrhundertelang eine Grenze, die nicht nur politische Räume, sondern auch sehr unterschiedliche Lebensweisen voneinander trennte. So übernahmen die Germanen nur selektiv typisch Römisches. Während bestimmte Schmuckstücke wohl auch aufgrund ihres materiellen Werts beliebt waren, verharrte man in anderen Bereichen von der Landwirtschaft bis zur Frisurenmode offensichtlich lieber beim Gewohnten. Erst mit dem Zustrom plünderungslustiger elbgermanischer Siedler im weiteren Verlauf der Kaiserzeit änderten sich die Verhältnisse diesbezüglich ein wenig, denn es gibt z.B. Hinweise auf römische Handwerker, die wohl aus dem Reichsinnern in die Germania magna verschleppt wurden und dort mit den lokal zur Verfügung stehenden Mitteln die aus ihrer Heimat gewohnten Gefäßformen zu produzieren versuchten, ohne jedoch einen langfristigen Trend schaffen zu können.
Werden in den ersten beiden Buchteilen eher die großen Entwicklungslinien nachvollziehbar, erhellt die genaue Betrachtung von Obernburg schlaglichtartig Alltag und Selbstdarstellung der mit polizeilichen und administrativen Aufgaben betrauten Benefiziarier, die jeweils ein halbes Jahr lang in der ergrabenen statio Dienst taten und sich zum Abschied in deren Weihebezirk mit einem Altar verewigten. Zwar sind nicht alle Altäre erhalten, aber aufgrund der Nutzungsdauer der Station von etwa 80 bis 90 Jahren von kurz vor Mitte des 2. Jahrhunderts an ist dennoch eine Fülle an Inschriften überliefert. So unverzichtbar die Weihungen wohl auch waren, es wird dennoch deutlich, dass der Übergang zwischen sakralem Raum und Müllkippe hier durchaus fließend war, da es wohl weniger um die persönliche Religiosität als um die Bekundung der Treue zum Kaiserhaus und zum Staatskult ging.
Neben der Vorstellung der Funde selbst und ihrer Deutung bieten die Aufsätze auch interessante Einsichten in die archäologische Arbeit und die Schwierigkeiten, die sich damit verbinden, sei es nun die Beschädigung von Befunden durch Baumaßnahmen oder die Tatsache, dass die modernen Bundeslandgrenzen, an denen sich Zuständigkeiten oft orientieren, nur mit viel Glück mit den Umrissen antiker Siedlungsräume in Deckung zu bringen sind.
Alles in allem sind die Römer und Germanen am Main also eine empfehlenswerte Lektüre. Ein wenig Grundwissen über römische Geschichte sollte man zum Verständnis sicher mitbringen, doch wenn die Voraussetzung gegeben ist, können auch neugierige Laien ihre Freude an den Fachtexten haben.

Bernd Steidl: Römer und Germanen am Main. Ausgewählte archäologische Studien. Obernburg am Main, Logo Verlag, 2016, 336 Seiten.
ISBN: 9783939462293


Genre: Geschichte