In den letzten Monaten häufen sich Berichte über religiös motivierte Zerstörungen von Kunstwerken und historischen Gebäuden im Nahen Osten. Dass dieses Phänomen weder neu noch auf die islamische Kultur beschränkt ist, belegt eindrucksvoll Eberhard Sauers The Archaeology of Religious Hatred in the Roman and Early Medieval World.
Eine Betrachtung von Spätantike und Frühmittelalter unter einem solchen Blickwinkel ist gerade deshalb hochinteressant, weil diese Epoche kaum jemals als Paradebeispiel für religiöse Verblendung im Christentum angeführt wird. Schattenseiten wie Juden- und Ketzerverfolgung, Kreuzzüge und eben auch Bilderstürmerei (z.B. im Zuge der Reformation) kennt man primär aus späteren Zeiten.
Die Christianisierung Europas ist dagegen sowohl im allgemeinen Bewusstsein als auch in weiten Teilen der Forschung neutral bis positiv konnotiert, wohl nicht zuletzt deshalb, weil man sich selbst mehr oder minder in der dadurch begründeten Tradition verortet. Zwar ist bekannt, dass der neue Glaube teilweise mit Gewalt durchgesetzt wurde (wie z.B. von Karl dem Großen bei den Sachsen), aber zumeist wird das Positive betont: Das Christentum, so heißt es oft, habe die spirituellen Bedürfnisse breiter Bevölkerungsschichten besser zu befriedigen vermocht als das angeblich ohnehin schon im Niedergang begriffene Heidentum, und die mit der Christianisierung einhergehenden Verbesserungen im ethischen und sozialen Bereich seien so erstrebenswert gewesen, dass sie unschöne Begleiterscheinungen im Endeffekt mehr als aufgewogen hätten (siehe z.B. Lutz E. von Padberg, Die Christianisierung Europas im Mittelalter, ISBN 978-3150186411).
Einer solchen Interpretation setzt Sauer auf Basis seiner archäologischen Forschungen, aber auch der Auswertung von Schrift- und Bildquellen eine ganz andere entgegen, die weit nachdenklicher stimmt. Ohne das Christentum in Bausch und Bogen zu verdammen, weiß er zu belegen, dass es nur dort zur dominanten und schließlich einzig gültigen Religion wurde, wo dies einerseits im Interesse der Obrigkeit lag (wie etwa in der Endphase der römischen Kaiserzeit), andererseits aber auch Eiferer handfest gegen Kultbauten und -bilder älterer Religionen vorgingen. Letzteres fand seinen Niederschlag nicht nur in Texten (so etwa in Heiligenviten wie denen des Columban oder des Gallus, denen die Zerstörung von Götzenbildern zugeschrieben wird), sondern lässt sich auch archäologisch nachweisen.
Wie der Verfasser selbst einräumt, hatten nicht alle Zerstörungen von Tempeln oder Götterstatuen ihren Ursprung im Glauben; Plünderungen und Vandalismus kamen auch im Zuge kriegerischer Auseinandersetzungen vor, und viele Kunstwerke wurden schlicht deshalb als Spolien wiederverwendet, weil es an Baumaterial mangelte. Die Indizien, anhand derer Sauer solche ungezielten Vernichtungsaktionen von religiösem Zerstörungswahn abgrenzt, wirken aber überzeugend. Plünderer und Steinräuber hatten es auf Materielles abgesehen und handelten praktisch orientiert. Wenn dagegen leicht auffindbare Wertsachen (z.B. geopferte Münzen) bei der Verwüstung eines Heiligtums zurückgelassen und mit viel Arbeitsaufwand planvolle Beschädigungen vorgenommen wurden (etwa das Zerschlagen insbesondere der Gesichter und Köpfe von Götterstatuen, während rein dekorative Elemente weniger übel zugerichtet wurden), ist davon auszugehen, dass Hass und Intoleranz eine Rolle spielten – insbesondere auch dann, wenn etwa ein unkenntlich gemachtes Relief mit einem Symbol der eigenen Religion überschrieben wurde.
Für entsprechende Befunde führt Sauer unter Verwendung reichen Bildmaterials Beispiele aus den unterschiedlichen Gebieten des römischen Reichs an, vom griechisch geprägten Osten bis in die germanischen Provinzen. Einen besonderen Schwerpunkt bilden die Stätten des Mithraskults, doch auch Spuren in anderen Tempeln und Heiligtümern finden Berücksichtigung. Wie rabiat die Täter vorgingen, unterschied sich durchaus: Wurde in einem Quellheiligtum im rheinland-pfälzischen Kindsbach z.B. nur ein Kultbild so umgestürzt, dass die Darstellung nicht mehr sichtbar war, wurden im ägyptischen Dendara die Götter aus dem kompletten Reliefschmuck eines großen Tempels herausgemeißelt.
Unbestreitbar war jedoch der Ikonoklasmus überall in der spätrömischen Welt verbreitet, und man kann man gar nicht umhin, sich zu fragen, ob manch eine schadhafte Skulptur, die man selbst schon im Museum gesehen hat, vielleicht nicht nur dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen ist, sondern auch dem Angriff eines Fanatikers.
Die Täter selbst waren dabei wohl nicht nur in ihrem Bestreben, die neue Religion zu verbreiten, überzeugt, ein gutes Werk zu vollbringen: Da im frühen Christentum insbesondere Götterstatuen nicht als reine Kunstwerke, sondern als potentielle Heimstätte von Dämonen galten, mögen die frommen Zerstörer geglaubt haben, eine reale Gefahr zu beseitigen.
Doch auch die Unterstellung guter Absichten macht Vorgang und Ergebnis nicht erträglicher, zumal die oft nur an Gebäuden und ihrer Ausstattung ausgelassene Wut sich auch gegen Menschen richten konnte. Sauer bleibt mit der gebotenen wissenschaftlichen Distanz in seinen Vermutungen sehr zurückhaltend und betont, dass Gewalttaten in diesem Zusammenhang wohl die Ausnahme blieben. Die Einzelfälle, die er anführt, stimmen dennoch betroffen, insbesondere ein Fund in Sarrebourg, der nahelegt, dass bei der Verwüstung des dortigen Mithräums ein in Ketten gelegter Mann lebendig begraben wurde, indem man den Schutt der zerschmetterten Kultbilder über ihn häufte. Spätestens angesichts eines solchen Mords ist die Beschönigung, dass die Kunstvernichtung ja wenigstens „nur“ Gegenständen zum Verhängnis wurde, nicht mehr möglich, zeigt er doch, wie viel Menschenverachtung zumeist in radikalen Überzeugungen schlummert.
Umso ernüchternder ist der Bogen zurück in die Gegenwart, den Sauer unter Verweis auf die Sprengung der berühmten Buddhastatuen von Bamiyan durch die Taliban schlägt. So wird als Ergebnis der Studie vor allem eines überdeutlich: Keine Religion hat ein Monopol auf Zerstörungswut und Gewalt, und beide können auch in Fällen auftreten, in denen der Fanatismus keinem Glauben an höhere Mächte, sondern einer weltlichen Ideologie gilt (z.B. im Zuge der chinesischen Kulturrevolution). Wenn eine bestimmte Gruppe meint, im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein – eine Gefahr, die Sauer bei monotheistischen Religionen vielleicht nicht zu Unrecht stärker gegeben sieht als bei anderen Weltanschauungen -, kann bei ihr leicht die Annahme entstehen, dass der Zweck die Mittel heilige. Dementsprechend kommt Sauer abschließend zu der pessimistischen Einschätzung, dass der Drang zur Bilderstürmerei zwar zeitweise ruhen mag, aber unter den passenden Rahmenbedingungen überall und jederzeit wieder hervorbrechen kann – eine Vorhersage, die seit Erscheinen des Buchs durch die Exzesse des IS im Irak und in Syrien ihre traurige Bestätigung gefunden hat.
Eberhard Sauer: The Archaeology of Religious Hatred in the Roman and Early Medieval World. The History Press, unveränderter Nachdruck, Stroud 2009 (Original: 2003), 192 Seiten.
ISBN: 978-0752425306