Trolle bevölkern Märchen und Fantasyromane und erfreuen sich als Souvenirs oder als Kinderspielzeug beträchtlicher Popularität. Zum Gegenstand seriöser Forschung werden sie allerdings nur selten. Abhilfe schafft John Lindows Trolls. An Unnatural History, ein Buch, das trotz seines amüsanten Untertitels eine ernsthafte und anspruchsvolle Untersuchung des Trollphänomens in Literatur und Kultur von der Wikingerzeit bis heute bildet.
Sachkundig und belesen, zugleich aber stets mit viel Humor und Wortwitz schildert der Skandinavist Darstellung und Funktion der oft als äußerlich grotesk beschriebenen Fabelwesen, die sehr ambivalente Rollen übernehmen können. Denn obwohl Trolle gerade in frühen Texten häufig als düster-dämonische, mit dem Tod oder den Naturgewalten assoziierte Geschöpfe in Erscheinung treten, können sie in manchen Zusammenhängen als Instanz dienen, die, wenn auch mit rabiaten Methoden, über die Einhaltung von Werten und Normen wacht. Gelegentlich wirken sie sogar hilfreiche Magie und erweisen sich als gute Nachbarn, wenn man anständig mit ihnen umgeht – vielleicht ein Ansatzpunkt dafür, dass in jüngerer Zeit neben dem älteren bedrohlichen Trollbild das eines harmlosen und sympathischen Wesens steht, so etwa bei Tove Janssons Mumintrollen .
Neben den in stattlicher Anzahl vorgestellten und zitierten literarischen Trollschilderungen haben auf die Vorstellung, die man sich gemeinhin von einem typischen Troll macht, jedoch auch Werke der bildenden Kunst großen Einfluss, allen voran die skandinavischen Märchenillustrationen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts (etwa von Theodor Kittelsen oder John Bauer), die ebenfalls analysiert werden.
All dies ist für Liebhaber des Phantastischen und Fabulierfreudigen schon spannend und unterhaltsam genug, doch Lindows größte Leistung in dieser Studie besteht vielleicht darin, indirekt aufzuzeigen, weshalb man sich hüten sollte, das vermeintlich Unrealistische leichtfertig als irrelevant für das wahre Leben abzutun. Imaginäre Entitäten sind nicht nur eine ideale Projektionsfläche für das, was Einzelne oder ganze Gesellschaften bewegt, sondern als fester Teil der Vorstellungswelt auch immer an die Wirklichkeit rückgekoppelt.
Deutlich wird das in diesem speziellen Fall vor allem an Lindows Beobachtung, dass die abfällige Bezeichnung „Troll“ für andere Menschen nicht erst in Zeiten des Internets entstanden ist, sondern schon bei den Wikingern zum Einsatz kam. Gelegentlich traf sie als diskriminierender Vergleich Unschuldige, die man als andersartig einstufte (wie etwa Behinderte oder Inuit), doch in vielen Fällen zielte sie ganz wie heute auf diejenigen ab, die ein wenig sozialverträgliches Verhalten an den Tag legten.
Trolle – so zeigt Lindow nicht zuletzt an diesem übertragenen Gebrauch des Begriffs – repräsentieren damit immer auch etwas, wovon man sich abgrenzen möchte, einerseits das Fremde und Unverständliche, andererseits aber auch die dunkleren Seiten menschlicher Natur, von denen niemand völlig frei ist. Wenn der Autor also abschließend die Frage Could there be a bit of troll in each of us? stellt, ist das sicherlich mit einem Augenzwinkern zu verstehen, hat aber zugleich einen ernsten Hintergrund. Wollen wir also hoffen, dass es sich bei den meisten von uns um einen eher freundlichen Trollanteil handelt, der nicht viel Schaden anzurichten gedenkt!
John Lindow: Trolls. An Unnatural History. London, Reaktion Books, 2015 (Original: 2014), 160 Seiten.
ISBN: 978-1780235653