Ein Schicksalsschlag trifft die Familie Bennet (bekannt aus Jane Austens Stolz und Vorurteil): Mrs Bennet stirbt recht plötzlich und lässt ihren Mann mit den beiden unverheirateten Töchtern Mary und Kitty allein zurück. Die drei sind auf diese Situation denkbar schlecht vorbereitet, doch bei aller Trauer birgt sie auch Chancen. Denn in der veränderten Familienkonstellation lernen Vater und Töchter einander noch einmal ganz neu kennen, und als mit der klugen und weltläufigen Mrs Jones eine ungewöhnliche Hauslehrerin auf den Plan tritt, um Marys und Kittys bislang eher vernachlässigte Bildung zu vervollkommnen, stellt Mr Bennet unerwartet fest, dass vielleicht auch bei ihm in seinen Ehejahren mehr zu kurz gekommen ist, als er es sich bewusst gemacht hat …
Bücher, die von Jane Austens Stolz und Vorurteil inspiriert sind oder die Geschichte sogar direkt fortsetzen, gibt es in Hülle und Fülle, aber während viele dieser Werke sich ausschließlich auf die Protagonistengeneration des Originals (oder deren Nachkommen) konzentrieren, schlägt Heike Baller einen etwas anderen Weg ein. In ihrem pünktlich zu (bzw. sogar etwas vor) Jane Austens 250. Geburtstag erschienenen Debütroman stellt die bisher nicht nur mit mehreren Haiku-Bänden, sondern auch mit einer ganzen Reihe von Blogbeiträgen zu Jane Austen hervorgetretene Autorin neben den beiden etwas unscheinbareren Bennet-Schwestern Mary und Kitty nämlich auch deren Vater in den Mittelpunkt, der hier einen zweiten Frühling mit einer ganz anderen Partnerin als seiner ursprünglich einmal durch äußerliche Attraktivität bestechenden, auf anderer Ebene aber vielleicht für ihn gar nicht allzu gut geeigneten Frau erleben darf.
In den Geschichten aller drei Hauptfiguren schwingt dabei durchaus Kritik am Männer- und Frauenbild ihrer Zeit, an den damit verbundenen gesellschaftlichen Erwartungen, aber auch – und das macht die Sache unter literaturwissenschaftlichen Aspekten besonders interessant – an Jane Austens eigenen Wertungen ihrer Gestalten mit. Denn ist Kitty wirklich nur das unreife Ding, das sich ständig von seiner jüngeren Schwester Lydia (die ihre ziemlich unrühmliche, im Original angelegte Rolle voll und ganz behält, auch wenn selbst bei ihr die Ungerechtigkeit der Geschlechterverhältnisse deutlich wird) zu Unsinn anstiften lässt, oder sind ihr nicht auch Möglichkeiten verwehrt geblieben, die sich nun erst verspätet auftun? Ist Mary bloß eine Frömmlerin, die in ihrem Geltungsdrang ihre musikalischen und geistigen Fähigkeiten peinlich überschätzt, oder hat sie nicht echte spirituelle Tiefe und Bildungsehrgeiz zu bieten, die nur nie richtig gefördert worden sind? Und haben ihre gut verheirateten und damit scheinbar erfolgreicheren älteren Schwestern, die sanftmütige, hübsche Jane und die schlagfertige, selbstbewusste Lizzy, es wirklich so viel besser getroffen und nicht vielmehr ihrerseits, wenn auch unbewusst, auf manches verzichtet, das insbesondere Mary nun für sich zu beanspruchen wagt?
Es sind eher kluge Denkanstöße als simple Antworten, die Heike Baller diesbezüglich gibt. Dabei bleiben die Wege, die Mary und Kitty einschlagen, mehr oder minder im Einklang mit dem, was Jane Austen (innerhalb und außerhalb von Stolz und Vorurteil) über ihre jeweilige Zukunft andeutet, werden aber auf ganz eigene Weise interpretiert und mit Verve, viel Begeisterung für Ausgangswerk und Epoche und auch einem Schuss Humor erzählt. Da es immer wieder um Bildung und die Auseinandersetzung insbesondere mit Musik, Literatur und Religion geht, hat Heike Baller oft Gelegenheit, ihre umfassenden kulturellen Kenntnisse mit leichter Hand einfließen zu lassen und dem Lesepublikum einiges zu entdecken zu geben. Hier auf Anspielungssuche zu gehen, macht über den Unterhaltungswert der Handlung hinaus einen zusätzlichen Reiz des Romans aus. Ohnehin wirken viele Elemente mit Bedacht gesetzt, beispielsweise die Art, wie Anfang und Ende des Buchs thematisch aufeinander bezogen sind (wie genau, soll hier natürlich nicht vorab verraten werden – aber es fällt einem, samt der jeweiligen jahreszeitlichen Zuordnung der Ereignisse, durchaus angenehm als sicher nicht nur zufällig so angelegt auf).
Wer Freude daran hat, einen Klassiker der Weltliteratur fortgesetzt und dabei auf viel Sympathie für das Original verratende, niemals verletzende Art sanft gegen den Strich gebürstet zu sehen, findet also in Mister Bennet eine vergnügliche Lektüre nicht nur zum derzeitigen Jane-Austen-Jubiläum.
Heike Baller: Mister Bennet. Hamburg, BoD, 2025, 276 Seiten.
ISBN: 978-3-6951-8721-8