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Welterbe Limes

Beim Stichwort „Limes“ denken die meisten historisch Interessierten vermutlich zuallererst an die reichhaltigen Römerfunde in Hessen, die – publikumswirksam etwa im rekonstruierten Kastell Saalburg präsentiert – eine große Breitenwirkung entfalten. Der im heutigen Bayern gelegene Teil der Nordostgrenze des Römischen Reichs tritt demgegenüber in der allgemeinen Wahrnehmung oft etwas in den Hintergrund. Bernd Steidls Welterbe Limes. Roms Grenze am Main richtet sein Augenmerk ganz gezielt auf diesen oft übersehenen Bereich und weiß für ein allgemeines Publikum deutlich zu machen, wie viel Spannendes und Besonderes es auch an der einstigen Maingrenze zu entdecken gibt.
Begonnen mit dem 2. Jahrhundert v. Chr., in dem germanische Gruppen allmählich die bisherige keltische Bevölkerung verdrängten oder überlagerten, wird zunächst die Geschichte der Mainregion bis zur Eroberung durch die Römer und Errichtung des Limes skizziert. Den zentralen Teil des Buchs bildet dann jedoch unter der Überschrift Leben am Limes eine Folge thematisch geordneter Kapitel, in denen von der Bevölkerungszusammensetzung über die Infrastruktur und Wirtschaft bis hin zu Religion und Alltag alle wichtigen Aspekte des Daseins an der Außengrenze einer römischen Provinz abgehandelt werden. Den Abschluss der einzelnen Kapitel bildet dabei jeweils die Untersuchung eines bestimmten Fundorts, der für den Gegenstand des gerade gelesenen Abschnitts besonders relevante Forschungsergebnisse erbracht hat (z.B. Obernburg, Stockstadt oder Miltenberg).
Abschließend wird der Niedergang der römischen Herrschaft und damit auch des Limes geschildert und der Blick auf die Entwicklung der Region im Mittelalter gelenkt, das römische Steindenkmäler nicht nur als Baumaterial nutzte, sondern auch für aus heutiger Sicht amüsante Kuriosa verantwortlich zeichnet (z.B. wird ein Apollorelief vorgestellt, das man im Mittelalter mit mehr christlicher Frömmigkeit als Kunstsinn zum Heiligenbild umarbeitete). Mit der Renaissance dagegen wird wieder ein Interesse an der Antike um ihrer selbst willen erkennbar. Eine Zeittafel und ein Glossar runden den Band als nützliche Ergänzungen ab.
Gar nicht genug hervorheben kann man dabei die Anschaulichkeit, mit der die Antike und ihr Erbe hier im wahrsten Sinne des Wortes sichtbar gemacht werden. Das ist nicht nur den qualitätvollen Fotos der archäologischen Funde zu verdanken. Vielmehr erlauben auch Luftaufnahmen mit eingezeichneten Gebäudegrundrissen bzw. antiken Straßen- und Grenzverläufen, die Topographie der Römerzeit mit der heutigen ganz konkret zu vergleichen. Die lebendigen Rekonstruktionsdarstellungen von Christoph Haußner tragen zusätzlich zur Vergegenwärtigung bei. Auf dieser Ebene hat Welterbe Limes auch manch einer Publikation aus größeren Verlagshäusern etwas voraus und macht so nicht nur beim Lesen, sondern auch beim Betrachten ungeheuer viel Spaß.
Wer tiefer ins Thema römische Maingrenze einsteigen möchte, findet in der Aufsatzsammlung Römer und Germanen am Main, die vom selben Autor stammt, eine wissenschaftliche Aufbereitung der auch hier behandelten archäologischen Funde.

Bernd Steidl: Welterbe Limes. Roms Grenze am Main. Mit Beiträgen von Ludwig Wamser und Horst Zimmerhackl. Obernburg am Main, Logo Verlag, 2008, 300 Seiten (Ausstellungskataloge der Archäologischen Staatssammlung München 36).
ISBN: 978393462064


Genre: Geschichte

Römer und Germanen am Main

Geht es um Funde aus der Römerzeit am Main, denkt man spontan meist an die archäologisch gut erschlossenen Gebiete im heutigen Hessen. Dass es auch weiter östlich viel Spannendes aus der Epoche zu entdecken gibt, beweist der Archäologe Bernd Steidl mit Römer und Germanen am Main. Anders als man vielleicht auf den ersten Blick vermuten könnte, handelt es sich dabei nicht um eine Monographie, sondern um eine Sammlung überwiegend schon an anderer Stelle veröffentlichter Aufsätze (der älteste stammt aus den späten 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts). Zu größeren Überarbeitungen der einzelnen Beiträge scheint es im Zuge der Neuedition nicht gekommen zu sein, allerdings ist teilweise zusätzliches Bildmaterial eingefügt worden.
Zu drei großen Abschnitten geordnet schildern die Einzeluntersuchungen in der Zusammenschau zunächst die historische Entwicklung am Main von den Kelten bis zum Ende der Römerzeit, um dann die germanischen Siedlungen am Maindreieck in den Blick zu nehmen und sich schließlich detailliert der Benefiziarierstation von Obernburg am Main zu widmen. Obwohl man dabei aufgrund der Genese des Buchs aus ursprünglich für sich stehenden Texten einige Wiederholungen in Kauf nehmen muss, ergibt sich nach und nach das faszinierende Gesamtbild einer kulturell heterogenen Region, in der eine zunächst primär keltische Bevölkerung im 1. Jahrhundert v. Chr. von germanischen Gruppen verdrängt wurde, teilweise aber auch in ihnen aufging. Nach der römischen Eroberung West- und Süddeutschlands um Christi Geburt verlieft durch das Maingebiet jahrhundertelang eine Grenze, die nicht nur politische Räume, sondern auch sehr unterschiedliche Lebensweisen voneinander trennte. So übernahmen die Germanen nur selektiv typisch Römisches. Während bestimmte Schmuckstücke wohl auch aufgrund ihres materiellen Werts beliebt waren, verharrte man in anderen Bereichen von der Landwirtschaft bis zur Frisurenmode offensichtlich lieber beim Gewohnten. Erst mit dem Zustrom plünderungslustiger elbgermanischer Siedler im weiteren Verlauf der Kaiserzeit änderten sich die Verhältnisse diesbezüglich ein wenig, denn es gibt z.B. Hinweise auf römische Handwerker, die wohl aus dem Reichsinnern in die Germania magna verschleppt wurden und dort mit den lokal zur Verfügung stehenden Mitteln die aus ihrer Heimat gewohnten Gefäßformen zu produzieren versuchten, ohne jedoch einen langfristigen Trend schaffen zu können.
Werden in den ersten beiden Buchteilen eher die großen Entwicklungslinien nachvollziehbar, erhellt die genaue Betrachtung von Obernburg schlaglichtartig Alltag und Selbstdarstellung der mit polizeilichen und administrativen Aufgaben betrauten Benefiziarier, die jeweils ein halbes Jahr lang in der ergrabenen statio Dienst taten und sich zum Abschied in deren Weihebezirk mit einem Altar verewigten. Zwar sind nicht alle Altäre erhalten, aber aufgrund der Nutzungsdauer der Station von etwa 80 bis 90 Jahren von kurz vor Mitte des 2. Jahrhunderts an ist dennoch eine Fülle an Inschriften überliefert. So unverzichtbar die Weihungen wohl auch waren, es wird dennoch deutlich, dass der Übergang zwischen sakralem Raum und Müllkippe hier durchaus fließend war, da es wohl weniger um die persönliche Religiosität als um die Bekundung der Treue zum Kaiserhaus und zum Staatskult ging.
Neben der Vorstellung der Funde selbst und ihrer Deutung bieten die Aufsätze auch interessante Einsichten in die archäologische Arbeit und die Schwierigkeiten, die sich damit verbinden, sei es nun die Beschädigung von Befunden durch Baumaßnahmen oder die Tatsache, dass die modernen Bundeslandgrenzen, an denen sich Zuständigkeiten oft orientieren, nur mit viel Glück mit den Umrissen antiker Siedlungsräume in Deckung zu bringen sind.
Alles in allem sind die Römer und Germanen am Main also eine empfehlenswerte Lektüre. Ein wenig Grundwissen über römische Geschichte sollte man zum Verständnis sicher mitbringen, doch wenn die Voraussetzung gegeben ist, können auch neugierige Laien ihre Freude an den Fachtexten haben.

Bernd Steidl: Römer und Germanen am Main. Ausgewählte archäologische Studien. Obernburg am Main, Logo Verlag, 2016, 336 Seiten.
ISBN: 9783939462293


Genre: Geschichte