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Das Café

Materiell wohlversorgt, aber von Eltern und Bruder vernachlässigt, führt die junge Fred Kaltental ein aufgrund ihrer chronischen Krankheit als Bluterin zahlreichen Einschränkungen unterworfenes Leben im Herrenhaus ihrer Familie. Abwechslung bieten ihr nur die heimlichen Ausflüge ins nahe Dorf, die sie sich von Zeit zu Zeit gönnt. Eines dieser kleinen Abenteuer nimmt ungeahnte Ausmaße an, als sie auf der Flucht vor angriffslustigen Hunden in ein von dem undurchsichtigen Pépin geführtes Café gerät, das sie nicht ohne Weiteres wieder verlassen kann, da es in der Anderswelt liegt – oder vielmehr nicht so ganz, hat doch ein versuchtes Attentat auf ein tyrannisches Königspaar dort so einiges aus dem Lot gebracht. Während Fred sich in ihrer neuen Umgebung einlebt, die neben allen Bedrohungen durch Pépin, seinen insektenhaften Schergen Mathéo und den mordlüsternen Zirkusdirektor Barbossa auch ein paar ungeahnte Vorteile bietet, erkennt sie nach und nach, dass nur sie das Café vor dem sicheren Untergang bewahren kann. Dazu allerdings braucht sie Verbündete, die in dem mit einem sonderbaren Eigenleben ausgestatteten Gebäude nicht allzu leicht zu finden sind, und was es mit ihr selbst auf sich hat, erkennt sie erst, als es schon fast zu spät ist …

Eileen Kohnles Jugendroman Das Café bietet in einem flotten, oft etwas umgangssprachlichen Stil eine unterhaltsame Mischung aus Portalfantasy, Grusel, Humor und recht spät im Text auch angedeuteter Liebesgeschichte, aber auf ganz eigene Art geschildert. Die Kapitel um Freds Abenteuer wechseln immer wieder mit in der Anderswelt angesiedelte Passagen ab, die zunächst ganz unverbunden erscheinen und ihren Sinn für die Haupthandlung erst Stück für Stück erkennen lassen (wobei bis zum Schluss nicht alle Rätsel gelöst werden, sondern hier und da Leerstellen bleiben, um eigene Erklärungen hinzuzudichten). Eine geheimnisvolle Erzählerinstanz mit sehr speziellem Hintergrund, die sich oft direkt ans Publikum wendet und dabei durchaus auch einmal die Genrekonventionen ein bisschen ironisiert, ist dabei nicht das einzige spielerische Element: Von Alice im Wunderland bis hin zum Zauberer von Oz werden immer wieder klassische Werke der phantastischen Jugendliteratur, aber auch manche Details aus Popkultur und Aberglauben evoziert.

Wie auch in ihren Taleswood Inn Chroniken ist Eileen Kohnles Begeisterung für ihre Figuren und für ihre fabulierfreudig ausgestaltete Welt, die mit sprechenden Türen, einem sehr wandelbaren Haus, gefährlichem Nebel, seltsam katzenhaften Nachthunden, bedrohlichen Uhrwerkwesen und vergossenem Tee, der zu Schlimmerem als einer bloßen Verbrühung führen kann, aufwartet, deutlich spürbar. Gerade weil man der Geschichte anmerkt, mit wie viel Herzblut sie geschrieben ist, macht es Vergnügen, der Wandlung, die Fred nicht nur innerlich durchmacht, zu folgen und sich von allerlei unerwarteten Wendungen überraschen zu lassen. Wer sich für ein paar spannende Lesestunden wortwörtlich in eine Welt zurückziehen möchte, kann dem Café also unbedenklich einen Besuch abstatten.

Eileen Kohnle: Das Café, o. O. 2020, 468 Seiten (E-Book – PDF).
Ohne ISBN, erhältlich über Etsy.

 


Genre: Roman

Die Taleswood Inn Chroniken

Zwischen Frauenwohnheim und stumpfsinnigen Schreibaufträgen bietet der Alltag der jungen Clara Brennan im Großstadtgrau wenig Abwechslung, bis sie unversehens das Haus ihrer Großmutter im ländlichen Ivymoore erbt. Allerdings entpuppt sich ihre neue Bleibe als tief im Wald gelegenes Gebäude mit eigenem Willen und einigen Besonderheiten, dient es doch als Herberge für andersweltliche Wesen aller Art. Den menschlichen Bewohnern des forstwirtschaftlich geprägten Ivymoore ist das gar nicht recht, da die Rolle des Waldes als Rückzugsort des Übernatürlichen sie daran hindert, den Holzeinschlag noch weiter voranzutreiben. So hat Clara von Anfang an einen schweren Stand, und dass sie zudem noch den lästig attraktiven Ben Sheridan als Mitbewohner aufnehmen muss, obwohl in ihrem emanzipierten Lebensentwurf eigentlich kein Platz für einen Mann ist, macht die Sache nicht einfacher. Immerhin findet sie mit der Zeit Verbündete wie den freundlichen Krämer Finnegan und die zupackende Geisterfrau Betty. Als sich dann aber herausstellt, dass es bei der Feindseligkeit der Ortsansässigen nicht mit rechten Dingen zugeht und Clara auch nicht all ihren Gästen über den Weg trauen kann, ist voller Einsatz von ihr gefordert, um das Taleswood Inn und den Wald zu retten.

Die Taleswood Inn Chroniken von Eileen Kohnle sind ein lockeres und schwungvolles Fantasyabenteuer, das in einer an das frühe zwanzigste Jahrhundert angelehnten Welt angesiedelt ist. Von den überwiegend englischen Personen- und Ortsnamen sollte man sich nicht täuschen lassen, denn die übernatürlichen Gestalten in und um das Taleswood Inn entstammen vielfach der deutschsprachigen Sagenwelt. So treten etwa Roggenmuhmen und Bergmönche auf, und eine kleine Anspielung am Rande lässt ahnen, dass auch die Brüder Grimm einiges an Inspiration geliefert haben. In einem modernen, bisweilen auch umgangssprachlichen Stil gehalten, der sich flott wegliest, bietet der kurze Roman neben Spannung, schräger Fantasy und Gruselelementen auch viel Humor, der sich dank der Quellenfiktion, dass man es hier mit Clara Brennans später umgearbeitetem Tagebuch zu tun hat, nicht zuletzt in allerlei amüsanten Fußnoten und direkten Wendungen ans Lesepublikum niederschlägt.

Eileen Kohnle schreibt mit viel Sympathie für ihre in ständige Kabbeleien verstrickten Hauptfiguren, die neugierig genug machen, um ein längeres Buch zu verdienen (sowohl Bens Vergangenheit als auch die eher düsteren Aspekte von Claras Kindheit werden nur angedeutet, und man wünscht sich hier und auch in anderen Fällen, nähere Einzelheiten zu erfahren). Vielleicht darf man aber hoffen, darüber in Zukunft noch mehr lesen zu können, da Die Taleswood Inn Chroniken offenbar kein Einzelband bleiben sollen. Denn obwohl eine mehr oder minder in sich abgeschlossene Episode erzählt wird, sind am bittersüßen Ende noch manche Fragen nach den Hintergründen der geschilderten Vorgänge offen, und der Epilog ist ein eindeutiger Aufhänger für eine Fortsetzung.

Auf die kann man durchaus gespannt sein, denn es macht schon in diesem Band Spaß, wie leichtfüßig und unbeschwert die Autorin einen Streifzug durch die unterschiedlichsten Winkel von Sagen und Märchen sowie Volks- und Aberglauben unternimmt, um dieses Material augenzwinkernd mit allerlei witzigen Einfällen zu kombinieren: Wie trinkt z. B. ein Bergmönch Tee, womit bezahlt man auf einem andersweltlichen Zaubermarkt, und wie spricht ein kopfloser Reiter, wenn ihm doch die Anatomie dafür fehlt? Die nicht auf den Mund gefallenen Ich-Erzählerin Clara (die sogar in der Danksagung der Autorin noch mitmischen darf) bei der Lösung dieser Rätsel zu begleiten, dürfte Jugendlichen und Erwachsenen gleichermaßen Vergnügen machen, wenn ein unterhaltsames Buch gesucht ist, das sich gut in einem Rutsch durchlesen lässt und eine kleine Flucht mitten hinein in Spuk und Zauber gestattet.

Eileen Kohnle: Die Taleswood Inn Chroniken. Bad Dürrheim 2022, 192 Seiten.
ISBN: 978-3-00-072928-7


Genre: Roman