Die Taleswood Inn Chroniken

Zwischen Frauenwohnheim und stumpfsinnigen Schreibaufträgen bietet der Alltag der jungen Clara Brennan im Großstadtgrau wenig Abwechslung, bis sie unversehens das Haus ihrer Großmutter im ländlichen Ivymoore erbt. Allerdings entpuppt sich ihre neue Bleibe als tief im Wald gelegenes Gebäude mit eigenem Willen und einigen Besonderheiten, dient es doch als Herberge für andersweltliche Wesen aller Art. Den menschlichen Bewohnern des forstwirtschaftlich geprägten Ivymoore ist das gar nicht recht, da die Rolle des Waldes als Rückzugsort des Übernatürlichen sie daran hindert, den Holzeinschlag noch weiter voranzutreiben. So hat Clara von Anfang an einen schweren Stand, und dass sie zudem noch den lästig attraktiven Ben Sheridan als Mitbewohner aufnehmen muss, obwohl in ihrem emanzipierten Lebensentwurf eigentlich kein Platz für einen Mann ist, macht die Sache nicht einfacher. Immerhin findet sie mit der Zeit Verbündete wie den freundlichen Krämer Finnegan und die zupackende Geisterfrau Betty. Als sich dann aber herausstellt, dass es bei der Feindseligkeit der Ortsansässigen nicht mit rechten Dingen zugeht und Clara auch nicht all ihren Gästen über den Weg trauen kann, ist voller Einsatz von ihr gefordert, um das Taleswood Inn und den Wald zu retten.

Die Taleswood Inn Chroniken von Eileen Kohnle sind ein lockeres und schwungvolles Fantasyabenteuer, das in einer an das frühe zwanzigste Jahrhundert angelehnten Welt angesiedelt ist. Von den überwiegend englischen Personen- und Ortsnamen sollte man sich nicht täuschen lassen, denn die übernatürlichen Gestalten in und um das Taleswood Inn entstammen vielfach der deutschsprachigen Sagenwelt. So treten etwa Roggenmuhmen und Bergmönche auf, und eine kleine Anspielung am Rande lässt ahnen, dass auch die Brüder Grimm einiges an Inspiration geliefert haben. In einem modernen, bisweilen auch umgangssprachlichen Stil gehalten, der sich flott wegliest, bietet der kurze Roman neben Spannung, schräger Fantasy und Gruselelementen auch viel Humor, der sich dank der Quellenfiktion, dass man es hier mit Clara Brennans später umgearbeitetem Tagebuch zu tun hat, nicht zuletzt in allerlei amüsanten Fußnoten und direkten Wendungen ans Lesepublikum niederschlägt.

Eileen Kohnle schreibt mit viel Sympathie für ihre in ständige Kabbeleien verstrickten Hauptfiguren, die neugierig genug machen, um ein längeres Buch zu verdienen (sowohl Bens Vergangenheit als auch die eher düsteren Aspekte von Claras Kindheit werden nur angedeutet, und man wünscht sich hier und auch in anderen Fällen, nähere Einzelheiten zu erfahren). Vielleicht darf man aber hoffen, darüber in Zukunft noch mehr lesen zu können, da Die Taleswood Inn Chroniken offenbar kein Einzelband bleiben sollen. Denn obwohl eine mehr oder minder in sich abgeschlossene Episode erzählt wird, sind am bittersüßen Ende noch manche Fragen nach den Hintergründen der geschilderten Vorgänge offen, und der Epilog ist ein eindeutiger Aufhänger für eine Fortsetzung.

Auf die kann man durchaus gespannt sein, denn es macht schon in diesem Band Spaß, wie leichtfüßig und unbeschwert die Autorin einen Streifzug durch die unterschiedlichsten Winkel von Sagen und Märchen sowie Volks- und Aberglauben unternimmt, um dieses Material augenzwinkernd mit allerlei witzigen Einfällen zu kombinieren: Wie trinkt z. B. ein Bergmönch Tee, womit bezahlt man auf einem andersweltlichen Zaubermarkt, und wie spricht ein kopfloser Reiter, wenn ihm doch die Anatomie dafür fehlt? Die nicht auf den Mund gefallenen Ich-Erzählerin Clara (die sogar in der Danksagung der Autorin noch mitmischen darf) bei der Lösung dieser Rätsel zu begleiten, dürfte Jugendlichen und Erwachsenen gleichermaßen Vergnügen machen, wenn ein unterhaltsames Buch gesucht ist, das sich gut in einem Rutsch durchlesen lässt und eine kleine Flucht mitten hinein in Spuk und Zauber gestattet.

Eileen Kohnle: Die Taleswood Inn Chroniken. Bad Dürrheim 2022, 192 Seiten.
ISBN: 978-3-00-072928-7


Genre: Roman