Caspar David Friedrich wurde 1774 geboren, und so ist 2024 ein Jubiläumsjahr, in dem zahlreiche Ausstellungen und Publikationen den berühmten Maler würdigen, darunter auch das äußerlich besonders ansprechend gestaltete Büchlein Caspar David Friedrich und der weite Horizont.
Die Kunsthistorikerin Kia Vahland legt damit keine Biographie im klassischen Sinne vor, sondern eher einen bisweilen philosophischen Streifzug durch Bild- und Lebenswelten des Künstlers und die Beschäftigung der Nachgeborenen mit ihm, von der unverdienten Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten bis zu den neuesten Perspektiven der modernen Forschung.
Vahland zeichnet Friedrich als durchaus widersprüchlichen Menschen: Einerseits war er frommer Protestant, experimentierfreudiger Kreativer, begeisterter Wanderer und neugieriger Erkunder von Außenwelt und Seelenleben, andererseits aber auch früh durch den Verlust von Mutter und Bruder traumatisiert, unglücklich bis hin zum (glücklicherweise gerade noch vereitelten) Suizidversuch und in späteren Jahren in seiner launischen Art für sein Umfeld, insbesondere auch seine Frau Caroline Bommer, nicht immer leicht zu ertragen.
Dass die in diesem Buch erfreulicherweise in Farbe wiedergegebenen (Landschafts-)Bilder, die solch ein sperriger Charakter malt, alles andere als rein dekorativ und gefällig sind und mancherlei Untiefen aufweisen, versteht sich fast schon von selbst. Vahland nähert sich ihnen einfühlsam und mit viel Scharfblick, ob nun den ganz berühmten wie dem Mönch am Meer und dem Wanderer über dem Nebelmeer oder eher unbekannten Skizzen wie der Flachlandschaft auf Rügen, die viel über Friedrichs Umgang mit dem Horizont verrät, der für Vahland „sein bester Freund“ (S. 35) ist und seine Gemälde wie kaum ein anderes Element prägt.
Doch die Horizonterweiterung, die Friedrich durch besonders weite Blickwinkel vornimmt, ist eben nicht nur eine rein wörtliche, sondern auch eine im übertragenen Sinne zu sehende, die den Menschen zum Nachdenken anregen soll und will. Welche Rolle dabei auch seine oft nur in Rückenansicht auftretenden Figuren spielen, die mehr als bloße Staffage sind und nicht nur auf den Kontrast zwischen (Stadt-)Leben und vermeintlich urwüchsiger Natur, sondern oft genug auch auf spirituelle Inhalte und auf die politischen Diskurse seiner Zeit verweisen, arbeitet Vahland mit einer angesichts des begrenzten Raums von nur 110 Seiten erstaunlichen Tiefe heraus.
Ihr auf ihrem Streifzug durch Friedrichs Welt zu folgen, macht daher nicht nur viel Vergnügen, sondern ist auch lehrreich und regt dazu an, sich vielleicht selbst noch genauer mit dem ein oder anderen Gemälde zu befassen.
Kia Vahland: Caspar David Friedrich und der weite Horizont. Berlin, Insel Verlag, 2024 (Insel-Bücherei Nr. 1535), 110 Seiten.
ISBN: 978-3-458-19535-1