Leonardo da Vinci und die Frauen

Der Titel Leonardo da Vinci und die Frauen überrascht auf den ersten Blick, ist von dem bis heute berühmten Renaissancekünstler doch bekannt, dass er homosexuell war und lebenslang unverheiratet blieb. Doch Kia Vahland rückt in ihrer Künstlerbiographie nicht das Privatleben Leonardos in den Vordergrund, sondern vielmehr die Bedeutung, die Frauen für sein Werk und seine Weltsicht hatten.

Während andere Biographen in Leonardo oft primär den Naturforscher, den Erfinder oder aber auch den Zeichner betonen, sind für Vahland seine nur in geringer Zahl erhaltenen Gemälde sein zentrales Vermächtnis, und bei Leonardos gemalten Menschendarstellungen, insbesondere bei seinen Portraits, sind Frauen eindeutig in der Überzahl. Seine Mona Lisa wird als eines der bekanntesten Bilder der Welt an dieser Stelle wohl jedem einfallen, aber sie markiert im Grunde nur den Endpunkt einer langen Entwicklung, die Jahrzehnte zuvor mit Madonnen und ersten Portraits begann.

So sind es neben Leonardo selbst die von ihm gemalten Frauen, denen in diesem Buch Vahlands Hauptaugenmerk gilt: neben der in der Mona Lisa verewigten Kaufmannsgattin Lisa Gherardini die Dichterin Ginevra de’Benci, deren lyrisches Ich sich in einem erhaltenen Gedichtfragment als „Bergtiger“ bezeichnet, die vitale Cecilia Gallerani, die als Geliebte des Herrschers von Mailand, Ludovico Sforza, Karriere machte, und die Unbekannte, die heute unter der irreführenden Bezeichnung La Belle Ferronnière geführt wird und möglicherweise eine weitere Geliebte Ludovicos war.

Die großen und kleinen Geschichten um sie und um Leonardos übrige Gemälde sind eingebettet in ein mit Verve entworfenes Panorama der italienischen Renaissance mit all ihren Licht- und Schattenseiten, vom Florenz der Medici über Mailand und Venedig bis Rom. Vahland schreibt eingängig und frisch, gelegentlich aber zu umgangssprachlich für eine ernsthafte Biographie (Leonardo „macht sein eigenes Ding“, S. 263, Isabella d’Este, die Markgräfin von Mantua, ist sein „größter Fan“, S. 177, Tizian ist ein „Farbrevoluzzer“, S. 193). Darüber mag man den Kopf schütteln, doch man sollte die Lektüre dennoch nicht scheuen, da Vahland – durchaus in dem Bewusstsein, dass jede Leonardo-Deutung zeitbedingt und darum nicht endgültig ist – einige interessante Erweiterungen der gängigen Perspektive vornimmt.

Vahlands zentrale These ist, dass Leonardo den malerischen Blick auf Frauen dauerhaft veränderte, indem er sie als Individuen auf Augenhöhe ernstnahm – vielleicht auch und gerade, weil er in mancherlei Hinsicht zeitlebens ein Außenseiter blieb und darum gängige Zuschreibungen und Rollenbilder stärker zu hinterfragen vermochte als fester in den gesellschaftlichen Traditionen verwurzelte Malerkollegen. Neben dieser Auseinandersetzung mit einzelnen Frauen sieht Vahland in Leonardos Œuvre jedoch auch eine Tendenz, insbesondere die mütterliche, in seinen Madonnenbildern präsente Weiblichkeit mit der Natur und schöpferischen, da lebensspendenden Fähigkeiten zu assoziieren. An dieser Einschätzung müssen sich aus ihrer Sicht daher auch Neuzuschreibungen von Werken an Leonardo messen lassen. Insbesondere die Zuweisung des unter dem Titel La Bella Principessa bekannten, eher konventionell anmutenden Mädchenportraits an Leonardo zweifelt sie daher an.

Gründlicher hätte das Lektorat vorgehen können, da einige Flüchtigkeitsfehler übersehen worden sind. So ist z.B. der im Text beschriebene Bildausschnitt aus Benozzo Gozzolis für die Medici geschaffenen Darstellungen der heiligen drei Könige dieser hier, der Lorenzo de Medici als jugendlichen König auf einem Schimmel zeigt. Aber im Buch abgedruckt (Abb. 7, S. 71) und in der Bildlegende mit der beschriebenen Gestalt identifiziert wird rätselhafterweise der Jäger mit dem Geparden hinter sich im Sattel aus diesem Teil des Bilds.

Kia Vahland: Leonardo da Vinci. Eine Künstlerbiographie. Berlin, Insel Verlag, 2020 (Original: 2019), 348 Seiten.
ISBN: 978-3-458-68113-7

 

 


Genre: Biographie, Kunst und Kultur