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The Golden City

Als die Karawane, mit der Tadala reist, in einen tödlichen Sandsturm gerät, kann die junge Frau sich und die beiden kleinen Töchter ihres Pflegevaters in eine sonderbare Stadt retten. Nur ein einziger Mensch scheint dort zu leben: die ebenso rätselhafte wie verschüchterte Elabel. Dass sie in Wirklichkeit einer fremden Welt entstammt, erweist sich erst, als sie keine Wahl mehr hat, als Tadala und die Kinder dorthin mitzunehmen. Doch in Elabels magisch und technisch hochentwickelter Heimat ist längst nicht alles so friedlich und wohlgeordnet, wie es auf den ersten Blick scheint. Gefahr droht nicht nur von Elabels intriganten Geschwistern, sondern auch durch übernatürliche Vorgänge, über die seit Generationen zu viel in Vergessenheit geraten ist …
Sharon J. Gochenours The Golden City, der erste Band eines geplanten Vierteilers, bietet originelle und erfrischend andere Fantasy, die sich jeder Formelhaftigkeit verweigert und vor allem von ihrem üppigen und verspielten Weltenbau lebt. Während Tadalas Herkunftsgebiet realistisch gezeichnet und vermutlich im Afrika der Frühen Neuzeit zu verorten ist, folgt das geheimnisvolle Kaiserreich, dem Elabel entstammt, ganz anderen Spielregeln. Steampunkelemente wie z.B. mechanische, aber dennoch gefräßige Pferde stehen hier neben rein phantastischen wie einem Wald, in dem Bücher in freier Natur wachsen, jäh an unerwarteter Stelle aufklaffenden Weltenportalen oder einer am Himmel schwebenden Stadt. Magie lässt sich durch die Manipulation von Fäden wirken, die – für Laien unsichtbar – das gesamte Land durchziehen und stabilisieren.
Die Erkundung dieser bunten und fabulierfreudig ausgemalten Kulisse ist dann auch das Herzstück der Geschichte, die ohne viel Blutvergießen und Action auskommt, sondern eher auf den Charme des Reiseabenteuers setzt. Die beiden Hauptfiguren müssen sich dabei auf ganz unterschiedliche Art erst einmal in der Welt zurechtfinden: Während die praktisch veranlagte und zupackende Tadala aus einer wohl unserer Erde entsprechenden Umgebung dorthin gelangt und sich trotz alles Staunens über das Wunderbare immer nach der fast unmöglichen Heimkehr sehnt, ist Elabel eine ängstliche Außenseiterin. Von einem Orakel früh für eine besondere Rolle bestimmt, ist sie als Kind gleichwohl nur schlecht darauf vorbereitet worden und fühlt sich zwischen Büchern wesentlich wohler als im Umgang mit Menschen. Ihr Versprechen, für Tadala einen Weg nach Hause zu finden, wird zur wesentlichen Triebfeder ihres Handelns, während sich im Hintergrund abzuzeichnen beginnt, dass es mit teilweise schon Jahre zurückliegenden mysteriösen Todesfällen mehr auf sich hat, als alle wahrhaben wollen.
Trotz des Weltrettungsplots, der sich hier für die geplanten Folgebände ankündigt, bleibt das Figurenensemble überschaubar, und die geschilderten Interaktionen haben oft etwas von einem fein beobachteten Kammerspiel. Die Spannung resultiert deshalb auch nicht so sehr aus den äußeren Geschehnissen (die allerdings gegen Ende des Buchs kräftig Fahrt aufnehmen), sondern aus der Entwicklung der zwischenmenschlichen Beziehungen, ganz gleich, ob es sich nun um Tadalas zarte Liebe zu einem Mann aus dem Kaiserreich oder um Elabels nimmerendendes Ringen mit ihren älteren Geschwistern handelt, in dem sich das Machtgefälle im Laufe des Buchs beträchtlich verschiebt.
Auf die Fortsetzung der Reihe darf man also gespannt sein, und ohnehin lohnt es sich, Sharon J. Gochenour als interessante neue Autorin im Fantasygenre im Auge zu behalten.

Sharon J. Gochenour: The Golden City. The Threads Quartet, Book 1. High Flying Poultry Press (KDP), 2017, ca. 380 Seiten (E-Book)


Genre: Roman

Monsters: A Retelling of Beauty and the Beast

Lange Zeit war die Familie des jungen Historikers Khirkara wohlhabend, doch seit der Firmenpleite seiner Mutter müssen sie und ihre Söhne sich mühsam durchschlagen. Als historischer Berater einer unterfinanzierten Filmproduktion, die auf einer alten Sage über einen Schäfer und eine geheimnisvolle Bestie basiert, hat Khirkara oft das Gefühl, dass es gar nicht mehr schlimmer kommen kann. Doch weit gefehlt: Als seine Mutter durch eine Verkettung unglücklicher Umstände gezwungen ist, Schadenersatz zu leisten, den sie nicht aufbringen kann, soll sie die Schulden abarbeiten. Um der Familie nicht die hauptsächliche Ernährerin zu nehmen, erklärt Khirkara sich bereit, für sie einzuspringen, und gerät so auf einen verfallenen Landsitz. Misstrauisch beäugt muss er dort bei der Betreuung des durch einen Axthieb grauenvoll entstellten und sprachunfähigen Atzgar helfen. Wider Erwarten freunden die beiden jungen Männer sich an und empfinden bald noch weitaus mehr füreinander. Doch Atzgar scheint ein dunkles Geheimnis zu hüten, und was Khirkara in seiner Bibliothek entdeckt, spricht dafür, dass auch hinter der Geschichte von Schäfer und Bestie etwas ganz anderes steckt als zunächst angenommen …
Es ist eine ungewöhnliche, aber bestechende Form der Märchenadaptation, die Sharon J. Gochenour wählt, um Die Schöne und das Biest in eine moderne, wenn auch fremde Welt zu versetzen. Handlungsort ist ein fiktiver zentralasiatischer Staat, dessen tiefreligiöse Gesellschaft traditionell matriarchal strukturiert ist und in dem die Moderne nicht nur positive Neuerungen, sondern auch viel soziale Ungerechtigkeit mit sich bringt. Neben seiner sehr authentisch heraufbeschworenen Jetztzeit hat das Land jedoch auch eine reiche Geschichte, die liebevoll ausgemalt und mit erfundenen Primärquellen ebenso wie mit Sekundärliteratur versehen wird: Auszüge aus der Dichtung über den Schäfer sind ebenso in den Text eingeflochten wie Teile des von Khirkara so verabscheuten Filmskripts, Passagen aus einer Monographie über die Sage und jahrhundertealte Briefe eines Missionars, die Khirkara helfen, den Ursprung der Legenden über die geheimnisvolle Bestie auszumachen (die zwischen dem „Biest“ des bekannten Märchens und einer entfernten Verwandten der Bête du Gévaudan changiert).
Fantasy im klassischen Sinne ist die Geschichte trotz des erfundenen Schauplatzes und des üppigen Weltenbaus nicht. Atzgars Schicksal hat, wie sich erweist, alles andere als übernatürliche Ursachen, und auch die Aufdeckung seines Geheimnisses bleibt ganz innerhalb der Realität. Dies ist übrigens die einzige Hinsicht, in der die Erzählung enttäuscht: Die knappe und überhastete Auflösung der Handlungshintergründe wirkt wie eine lieblose Pflichtübung, die noch so manche Frage offenlässt.
Gochenours Hauptinteresse gilt neben dem Weltentwurf und dem gelungenen literarischen Spiel mit verschiedenen Textgattungen eindeutig der kammerspielartigen Entwicklung des Verhältnisses zwischen ihren beiden Hauptfiguren. Die Schilderung der behutsamen Annäherung über alle anfänglichen Kommunikationshindernisse hinweg glückt auch tatsächlich so sensibel und voller Zwischentöne, dass man dem Buch die oben skizzierte Schwäche auf der Plotebene ebenso gern verzeiht wie ein paar stehengebliebene Flüchtigkeitsfehler (z.B. fälschlich fauna an einer Stelle, an der es ausschließlich um die Flora einer Region geht). Stilisierte, aber ausdrucksvolle Illustrationen der Autorin zur Schäfersage runden das lesenswerte E-Book ab.

Sharon J. Gochenour: Monsters: A Retelling of Beauty and the Beast. High Flying Poultry Press (KDP), 2018, ca. 200 Seiten (E-Book).


Genre: Roman