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Die Weinfestengel

Die eher mäßig erfolgreiche Künstlerin und Chorleiterin Lisa Deiling sehnt sich nach einem Mann und der damit verbundenen materiellen Absicherung. Benno Schwertfeger, wohlanständiger Lateinlehrer und Organist, käme ihr da gerade recht, hat aber leider nicht das nötige Interesse an ihr. Ein Liebeszauber aus einem Buch mit Hexenritualen soll Abhilfe schaffen, muss allerdings an einem Ort ausgeführt werden, der mit dem erwünschten Partner in Verbindung steht. Die Kirche, in der Benno Orgel spielt, erscheint Lisa perfekt geeignet, und in der Tat hat die Beschwörung, die sie dort ausführt, einen gewissen Erfolg, nur nicht den gewünschten: Sie ruft den Dämon Kolar auf den Plan, der prompt den zum Kampf gegen ihn herbeigeeilten Engel Haniel besiegt und körperlos zurücklässt. Um überhaupt noch aktiv werden und Kolar das Handwerk legen zu können, braucht Haniel schnellstens einen neuen Körper, und der erste, dessen er sich bemächtigen kann, gehört ausgerechnet dem zum Kampf gegen höllische Mächte rein äußerlich nicht unbedingt geeigneten Benno. Doch so einfach wird man einen Engel als blinden Passagier nicht wieder los, und untätig bleiben kann man auch nicht, wenn sich das Böse immer tiefer in der heimatlichen Kleinstadt einnistet. Denn Bennos auf Abwege geratener Schüler Lukas bringt mit seiner fehlgeleiteten übersteigerten Marienfrömmigkeit, die sich das falsche Objekt sucht, nicht nur seinen eigenen kleinen Bruder, sondern auch noch weitere Kinder in Gefahr, Lisa riskiert nach wie vor mehr, als ihr bewusst ist, und auch die sonst in Latein stets verlässliche, nun aber mit eigenen Sorgen kämpfende jugendliche Kampfsportlerin Vanessa wird in den Konflikt höherer Mächte hineingezogen, als sich zum örtlichen Weinfest die Lage zuspitzt …

Susanne Bonns neuer Roman Die Weinfestengel bietet, ganz dem Titel gemäß, süffige Unterhaltung, die sich ein bisschen so liest wie eine in eine deutsche Kleinstadt verlegte Variante von Good Omens auf … nun ja, nicht direkt Drogen, aber vermutlich reichlich Riesling. Himmel- und Höllenwesen aller Art ringen mit List, Tücke und roher Gewalt um die Seelen unschuldiger Kinder, aber neben ihnen greifen auch noch Gestalten des Volks- und Aberglaubens mit ins Geschehen ein, vom furchterregenden Bouz über eine spukende Weiße Frau bis hin zu allerlei Waldwesen von paganer Anmutung. Das alles könnte hochdramatisch und tragisch sein, geht es doch immer wieder um Todesfälle (auch und besonders unter Kindern), bestenfalls triste Familienverhältnisse und alle Arten von Verführbarkeit des Menschen mit oft fatalen Folgen. Doch statt eine bitterernste Schauergeschichte aus diesen Zutaten zu machen, erzählt Susanne Bonn über weite Strecken schräg und komisch, wie der herrlich unheroische Benno, dem nur reichlich Alkohol gegen den nicht immer segensreichen Einfluss seines Engelsbegleiters hilft, von einer Kalamität in die nächste gerät und auch wohlwollende Kräfte nur sehr bedingt für eine Verbesserung der Gesamtsituation sorgen können (denn wie sich herausstellt, ist es zum Beispiel gar nicht so einfach, die Hilfe zuständiger Heiliger zu erhalten).

Gewürzt ist dieser wilde Ritt über Schulhof, Orgelempore und Weinfest mit allerlei augenzwinkernden Anspielungen, wenn etwa Haniel den Menschen, die mit ihm interagieren, je nach ihrem Hintergrund in anderer Gestalt erscheint (nimmt Benno ihn als den Komponisten Johann Hermann Schein wahr, verleiht ihm Vanessa eine eher popkulturell inspirierte Anmutung) oder allerlei (un-)passende Musikstücke Erwähnung finden, bis hin zur Titelmelodie von Wickie und die starken Männer. So bringt man einen Großteil der Lektüre lachend zu, weil einen immer dann, wenn eigentlich gerade etwas sehr Übles geschehen ist, entweder die Situationskomik oder das nächste Easter Egg wieder genug amüsiert, um nicht allzu tief über manch ein im Grunde todtrauriges Detail nachzugrübeln. Und eines steht immerhin fest: Verkatert lässt einen dieser kreative Cocktail, den man sich auch gut verfilmt vorstellen könnte, garantiert nicht zurück.

Susanne Bonn: Die Weinfestengel. München, tolino media, 2024, 297 Seiten.
ISBN: 978-3-7392-3369-7


Genre: Roman

Der Weg nach Hause

Meinen ersten Kontakt zu Susanne Bonns Büchern hatte ich vor Jahren, als mir zufällig ihr Historienkrimi Der Jahrmarkt zu Jacobi (übrigens lesenswert!) auffiel. Umso mehr hat es mich natürlich vor kurzem gefreut, festzustellen, dass sie auch mein Lieblingsgenre Fantasy schreibt. Der Weg nach Hause ist ein kurzes Buch, das zwei kleine Erzählungen miteinander vereint.

In der Geschichte Der Weg nach Hause, die ihren Titel mit dem gesamten Buch teilt, ist der aus einfachen Verhältnissen zum geachteten Ritter aufgestiegene Groreg nach langen Jahren auf dem Weg zurück in seine Heimat, als er unversehens von Wegelagerern bewusstlos geschlagen wird. In der Obhut fahrenden Volks erwacht er wieder und glaubt seinen neuen Bekannten kein Wort, als sie ihm versichern, ihn nicht selbst überfallen, sondern nur gerettet zu haben. Eigentlich möchte er sie so schnell wie möglich wieder loswerden, aber der Rückweg in sein altes Leben hat seine Tücken.

In Kapuzinerkresse dagegen führt die Gärtnerin Seli Besil unter dem Joch der korrupten Obrigkeit eines frühneuzeitlich inspirierten Polizeistaats ein beschwerliches Leben. Als in ihrem Garten unter dem alten Holunder, den man den Ratschlägen der älteren Generationen ihrer Familie nach tunlichst in Ruhe lassen sollte, eine ihr unbekannte und darum unheimliche Pflanze entdeckt, muss sie es riskieren, eine Verwandte in einem etwas entfernt gelegenen Ort zu besuchen, um sie um Rat zu fragen. Doch solch ein Ausflug ist in ihrer Welt nicht ohne Probleme möglich und hat endgültigere Konsequenzen, als Seli Besil je erwartet hätte.

So gegensätzlich die Hauptfiguren der beiden Geschichten auch sein mögen, eint beide doch, dass sie, mit einer erschreckenden Situation konfrontiert, alte Vorurteile ablegen müssen, um einen gangbaren Weg in die Zukunft zu finden. Sind es in Groregs Fall sowohl die kleingeistige Enge seines Herkunftsdorfs als auch die Arroganz seines neuen Ritterstands, die ihm die Sicht auf das Wesentliche versperren, ist es bei Seli Besil die mangelnde Bereitschaft, sich auf Herausforderungen (wie etwa für sie als Lesefaule nur schwer zugängliche schriftliche Informationen) einzulassen, die erst überwunden werden muss. Ganz leicht fällt es beiden nicht, über ihren Schatten zu springen, und so braucht es jeweils erst die Erfahrung, im gewohnten Umfeld aus verschiedenen Gründen nicht mehr willkommen zu sein, um den entscheidenden Schritt nach vorn zu wagen.

Susanne Bonn erzählt davon auch sprachlich schön und mit dem Mut, manches offenzulassen und so eher die Phantasie ihrer Leserinnen und Leser anzuregen, als jedes Detail vorzugeben. Die skizzierten Kulissen mit ihrem mittelalterlichen bzw. frühneuzeitlichen Flair sind eigentlich an Kurzgeschichten fast schon verschwendet und könnten sehr gut auch als Romansetting dienen. Wer Lust auf historisch inspirierte Fantasy hat, die abseits dramatischer Weltrettungen und magisch überfrachteter Auserwählter die kleinen Geschichten am Wegesrand aufspürt, dem bietet Der Weg nach Hause eine nette schnelle Lektüre für zwischendurch.

Susanne Bonn: Der Weg nach Hause. Lindenfels, Selbstverlag, 2020, E-Book.
ISBN (Printausgabe): 978-3753109343


Genre: Anthologie