17-Silben-Krimis

Unter einem Krimi stellt man sich meist einen Roman oder doch zumindest eine komplette Geschichte vor (ob nun in schriftlicher Form oder – wie bei den zahlreichen Krimis in Film und Fernsehen – in einem anderen Medium). Dass es auch kürzer geht, beweist Heike Baller in 17-Silben-Krimis, ihrem frisch erschienenen dritten Haiku-Band.

Die Bücher "Mein Jahr in Haiku", "Stadt-Natur" und "17-Silben-Krimis" von Heike Baller liegen auf einem beigefarbenen Hintergrund.

Nicht nur das Thema ist ein anderes als in Mein Jahr in Haiku und Stadt – Natur mit ihren philosophischen Natur- und Zivilisationsbetrachtungen. Heike Baller hat, wie sie im Nachwort erläutert, auch noch einmal überdacht, was die Gedichtform Haiku für sie eigentlich ausmacht, und löst sich von dem strengen Silbenschema 5 – 7 – 5 in den drei Versen, da es das japanische Vorbild gar nicht widerzuspiegeln vermag. Wichtig sind ihr jetzt nur noch, wie der Titel schon ahnen lässt, die siebzehn Silben pro Gedicht – und diese Kurzlyrik, wieder gewohnt minimalistisch mit nur einem Gedicht pro Seite und gelegentlich mit einer ebenfalls ganzseitigen Foto-Illustration präsentiert, hat es diesmal in sich.

Wie es sich für Krimis gehört, wird hier gemordet, teils mit so absurd kreativen Methoden, dass es schon fast wieder witzig ist (wenn eine Apnoe-Taucherin zuschlägt, es den Priester mitten im Gottesdienst erwischt oder ein Dekorationsstück endlich seiner eigentlichen Bestimmung als Waffe dienen darf), oft aber auch bitterernst und nachdenklich stimmend, wenn es Opfer wie Obdachlose, Kranke oder Pflegebedürftige trifft, die ohnehin schon zu den Hilflosesten der Gesellschaft gehören. Hier werden in wenigen Worten Szenarien heraufbeschworen, die Ängste ansprechen, die wohl jeder Mensch – ob nun eingestanden oder nicht – mit sich herumträgt, und wirken lange nach. Denkanstöße können Miniaturkrimis also ebenso gut liefern wie Naturgedichte.

Ohnehin besteht ein besonderer Kunstgriff dieser Haiku-Sammlung darin, den Krimi oft nur im Kopf stattfinden zu lassen und gar nicht explizit zu sagen, was genau geschehen ist. Perfekt zeigt sich dieses Vorgehen etwa bei dem Gedicht auf S. 49:

Das Handy klingelt.
Ins Leere, am offnen Fenster
im zehnten Stock.

Nüchtern betrachtet erfährt man hier so gut wie nichts über die Situation und ihre Hintergründe, aber beim Lesen fügt man in Gedanken natürlich sofort einen Fenstersturz aus großer Höhe und die traurige Vermutung, dass es hier nicht um einen Unfall geht, hinzu.

Doch keine Sorge: Nicht jeder Dreizeiler suggeriert oder bestätigt einen tödlichen Ausgang des Geschehens. Man bekommt es auch mit einem Schmuckdiebstahl, einer fiesen Katzen-Entführung und einem betrügerischen Galeristen zu tun, daneben auch immer wieder mit Historischem und Humoristischem.

Wie gewohnt erweist sich Heike Baller als Meisterin des Sprachspiels (wenn etwa „Streitende“ auf ein unschönes „Streit-Ende“ zusteuern) und der unerwarteten Pointen und Brüche. Durfte in ihren früheren Haiku schon einmal ein Müllwagen die idyllische Naturstimmung ruinieren, wird auch hier oft der zunächst erweckte Eindruck konterkariert, teils sehr boshaft und schwarzhumorig, so dass man mit etwas schlechtem Gewissen lacht, teils aber auch durch ein jähes Kippen ins Unblutige und Unschuldige, wenn sich nach düster aufgebauter Spannung die Situation im letzten Vers als viel harmloser als gedacht erweist.

Das alles ist ein großes Lesevergnügen, das einen immer wieder über den gekonnten Einsatz der Worte und die überbordende Ideenfülle dahinter staunen lässt, aber keines, das man unbedingt in einem Zug verschlingen muss. Viel mehr Spaß macht es wie schon bei den früheren Bänden, die Haiku häppchenweise zu genießen und ihnen die genauere Betrachtung zu gönnen, die sie verdient haben.

Auf alle Fälle hofft man nach der Lektüre, dass dieses dritte Haiku-Buch nicht das letzte war, sondern irgendwann mit einer genauso furiosen Fortsetzung, zu welchem Thema auch immer, zu rechnen ist.

Heike Baller: 17-Silben-Krimis. 60 nicht nur blutige Haiku. Norderstedt, BoD, 2023, 74 Seiten.
ISBN: 978-3-7347-0650-9

 


Genre: Anthologie