Der junge Mexikaner Vian Mauer scheitert bei dem Versuch, in Europa Karriere als Opernsänger zu machen, und sieht am Ende keine Alternative mehr dazu, sich dem Druck seines tyrannischen Vaters zu beugen und in seine Heimat zurückzukehren, um einen langweiligen Bürojob anzunehmen. Bevor es so weit ist, bleiben ihm nur noch ein paar Wochen in Salzburg, wo er eine Komparsenrolle in Mozarts Don Giovanni ergattert hat. Doch der Festspielsommer wird zum Wendepunkt in seinem Leben: Auf seinen Streifzügen durch die Stadt verliebt er sich in die unkonventionelle Julia, lernt deren diabolischen Mitbewohner Jacques kennen und verabscheuen, schließt Freundschaft mit dem Buchhändler Perec und beginnt zu hinterfragen, ob alles wirklich so unausweichlich ist, wie es ihm erscheint …
Es wäre vermutlich einfacher, ein Urteil über Amadeus auf dem Fahrrad zu fällen, wenn es sich bei dem Autor des sprachgewaltig von Willi Zurbrüggen ins Deutsche übersetzten Romans nicht ausgerechnet um den weltberühmten und auf mehr als einem Gebiet höchst erfolgreichen Opernsänger Rolando Villazón handeln würde. Dass ein Star der Branche über jemanden schreibt, der mit ihm einige Züge teilt, dem der große Durchbruch aber – so viel sei verraten – dauerhaft versagt bleibt, womit er sich abzufinden lernt, ist ein eigenartiger Kontrast, der einen im Hinterkopf bei der Lektüre immer begleitet.
Gelungen ist der Roman jedoch einerseits als persönliche Auseinandersetzung mit der Stadt Salzburg und ihrer Kunst im öffentlichen Raum, andererseits aber auch mit Mozart und seiner Oper Don Giovanni, wobei eine dieser entnommene Textzeile – Viva la libertà („Es lebe die Freiheit“) – zum unaufdringlichen Leitmotiv gerät. Literarische Anspielungen aller Art, Seitenhiebe auf den Kulturbetrieb mit seinem Hang zu seltsamen Inszenierungen, kleine Gastauftritte von realen Sängerinnen und Sängern (insbesondere immer wieder Cecilia Bartoli) und eingeflochtene Überlegungen zu Mozarts Biographie lesen sich vergnüglich und lassen einen Villazóns eigene Begeisterung für die unterschiedlichsten Themen mitempfinden. Besonders die liebevoll heraufbeschworene Topographie der Stadt bereitet einem beim Lesen viel Freude und lebt natürlich ein wenig auch vom Reiz des Wiedererkennens. Hier bietet Amadeus auf dem Fahrrad durchaus ein paar Momente, die einen atmosphärisch an Tonio Kröger denken lassen.
Wie viel man mit den Figuren anfangen kann, ist dagegen eindeutig Geschmackssache. Mit dem Ich-Erzähler Vian lässt sich zumindest Mitgefühl haben, wenn er durch seine tragikomischen Erlebnisse stolpert (auch wenn der Running Gag, dass er durch seine Tollpatschigkeit immer wieder ungewollt Schlagzeilen macht, einem irgendwann fast schon überstrapaziert vorkommt). Sein Vater gibt einen angemessen widerwärtigen Schurken ab, und Vians väterlichen Freund Perec kann man mögen. Die nur scheinbar freie und rebellische Julia sowie Jacques, der sich in der Rolle des provokanten Spötters gefällt, sind dagegen ziemlich typische Vertreter des dauerpubertären Personals literarisch anspruchsvoller Romane, und es passt gut, dass sie zu einem gewissen Zeitpunkt parallel zu Vians innerem Heranreifen aus der Handlung verschwinden.
Apropos Heranreifen: Auch als wie befriedigend man das Buch als Entwicklungsroman empfindet, bleibt wohl der subjektiven Einschätzung überlassen. Seine Stärken hat es wirklich in den Passagen, in denen es einem erlaubt, literarisch durch Salzburg zu flanieren, und so ist Amadeus auf dem Fahrrad letzten Endes ein Text, an dem einem nicht notwendigerweise die erzählte Geschichte in Erinnerung bleibt, sondern eher die Stimmung, die sie hier und da eindringlich heraufbeschwört.
Rolando Villazón: Amadeus auf dem Fahrrad. Hamburg, Rowohlt, 2020, 416 Seiten.
ISBN: 978-3-498-07070-0