Zugegeben, der Titel lässt erst einmal an ein frommes Erbauungsbuch denken – doch Nils Straatmanns Auf Jesu Spuren ist kein primär religiöses oder geschichtliches Werk, sondern ein hochaktueller Reisebericht über das heutige Israel und Palästina.
Als Theologiestudent nicht unbedingt frei von Skepsis und Glaubenszweifeln beschließt Nils Straatmann, dem historischen Jesus nachzuspüren, indem er dessen Weg von Galiläa bis Jerusalem nachwandert – ein Vorhaben, das er im Frühjahr bis Sommer 2016 gemeinsam mit seinem wenig kirchenaffinen Freund Sören in die Tat umsetzt.
Was so als schräge Mischung zwischen Pilgerfahrt und Bildungsreise beginnt, führt jedoch nicht zu bahnbrechenden Erkenntnissen über die Antike oder gar zur spirituellen Erweckung. Im Gegenteil: Die touristische Ausschlachtung jeder noch so zweifelhaften Legende stößt die beiden Besucher eher ab und nimmt selbst prinzipiell interessanten archäologischen Stätten ihren Reiz.
Als umso spannender erweisen sich die Begegnungen mit den heutigen Bewohnern der Landstriche, in denen Jesus einst wirkte. Immer wieder erleben die beiden Wanderer Offenheit und rührende Gastfreundschaft, sehen sich daneben aber angesichts der angespannten politischen Lage auch mehr als einmal mit Misstrauen bis hin zur Aggression konfrontiert.
Wer den israelisch-palästinensischen Konflikt nicht nur in seiner historischen Dimension, sondern auf ganz persönlicher Ebene verstehen möchte, findet in Straatmanns Schilderungen seiner Gespräche mit Juden, Muslimen, Christen und Drusen reichlich Material. Mehrfach scheinen Friedenssehnsucht und legitime Kritik am Verhalten beider Seiten auf, aber vor allem wird überdeutlich, dass auch mancher, der auf den ersten Blick aufgeschlossen und sympathisch wirkt, der jeweils anderen Konfliktpartei gegenüber Vorurteile bis hin zur ideologischen Verbohrtheit hegt. Dementsprechend sind es auch nicht ausschließlich praktische Gründe, die einer dauerhaften Überwindung der Gegnerschaft im Wege stehen, sondern nicht zuletzt auch die Tatsache, dass das Festhalten an eingefahrenen Feindbildern für Israelis wie für Palästinenser in gewissem Maße identitätsstiftend wirkt und hilft, in sich durchaus heterogene Gruppen zusammenzuschweißen. Eine schnelle Lösung dieser Probleme sieht Straatmann zu Recht nicht, und so stimmen einen viele seiner Beobachtungen eher nachdenklich und pessimistisch.
Deprimierend ist die Lektüre dennoch nicht, denn neben allem Ernst finden sich am Wegesrand auch zahlreiche Kuriosa, von einem Harry-Potter-Film, der etwas Abwechslung ins triste Beduinendasein bringt, über merkwürdige Souvenirs wie Jordanwasser, vor dessen Konsum dringend gewarnt wird, bis hin zu einer Brauerei in einem christlichen Palästinenserdorf, die Bier nach deutschem Reinheitsgebot herstellt. Nicht nur an diesen Stellen ist der Erzählstil beschwingt und humorvoll, so dass sich das Wandeln Auf Jesu Spuren durchgehend sehr unterhaltsam gestaltet, auch wenn einmal manchmal das Lachen im Halse steckenbleibt.
Nils Straatmann: Auf Jesu Spuren. Eine Wanderung durch Israel und Palästina. München, Piper, 2. Aufl. 2018, 304 Seiten.
ISBN: 9783890294797