Darkness over Cannae

Jenny Dolfen hat sich vor allem als Illustratorin einen Namen gemacht, aber mit Darkness over Cannae legt sie einen historischen Kurzroman über die Schlacht von Cannae im Zweiten Punischen Krieg vor, in der der karthagische Feldherr Hannibal seine römischen Gegner vernichtend schlug. Die thematische Eingrenzung ist übrigens sehr wörtlich zu nehmen: Die Handlung setzt am Morgen unmittelbar vor der Schlacht ein und endet schon am Abend danach. Die Beschränkung auf diesen knappen Zeitausschnitt ist jedoch noch nicht das eigentlich Ungewöhnliche an der Geschichte. Ihre Wirkung und schiere Wucht gewinnt sie vielmehr in hohem Maße auch daraus, dass sie gewissermaßen als Bilderbuch für Erwachsene gestaltet ist. So gut wie jede Seite weist eine von der Autorin selbst stammende Illustration auf, in der sich das Streben nach historisch möglichst exakter Rekonstruktion und der Sinn für Dramatik und emotionale Ansprache die Waage halten.

Dolfens Held ist dabei eindeutig Hannibal, den sie als brillanten Taktiker zeichnet, der den noch eher traditionsverhafteten und zudem vom Profilierungswettstreit der einzelnen Mitglieder der Nobilität behinderten Römern militärisch selbst in Unterzahl haushoch überlegen ist, sich allerdings politisch übel verkalkuliert, wenn er glaubt, dass ein Sieg bei Cannae den gesamten Krieg entscheiden könnte. Wer sich je gewünscht hat, den ersten Teil der bei Livius Hannibals Mitstreiter Marhabal in den Mund gelegten Einschätzung, Hannibal verstehe zu siegen, aber den Sieg nicht zu nutzen, gewissermaßen in Buchlänge ausgearbeitet zu sehen, findet hier genau das.

Auch die anderen Protagonisten sind überwiegend historisch belegte Kombattanten; darauf, die Situation der Zivilbevölkerung zu schildern, verzichtet Dolfen bis auf einen Verweis auf von den Karthagern abgeerntete örtliche Felder fast völlig. Der reinen Konzentration auf die Schlacht entsprechend, erscheinen die Handelnden auch primär in ihrer militärischen Funktion. Nur bei wenigen Figuren erlaubt die Autorin einen knappen Blick auf Gedanken und Gefühle jenseits des Krieges, wenn die Familie von Hannibals fiktivem Leibwächter Bomilkar Erwähnung findet oder der römische Tribun Lentulus an seine Eltern denken darf. Apropos Lentulus: Ganz so wie beim historischen Vorbild verlaufen seine Erlebnisse nicht, aber mit voller Absicht, denn an seinem Beispiel zeigt Dolfen glaubhaft, wie und warum tatsächliche Geschehnisse möglicherweise hinter einer doch etwas geschönten Version in den Quellen verschwunden sein könnten.

Eindrucksvoll ist Dolfens Detailwissen über Kulturhistorisches und Alltägliches, das praktisch in jeder Szene in die Beschreibungen mit einfließt, ohne explizit lehrhaft vorgetragen zu werden. So vollzieht der römische Konsul Aemilius Paullus ganz selbstverständlich ein Ritual mit verhülltem Haupt (capite velato), wie überhaupt positiv auffällt, dass Dolfen antike Religiosität in ihrer ganzen Bandbreite ernstnimmt – vom aufrichtigen Götterglauben bis hin zu kleinen Tricksereien, um ein günstiges Vorzeichen wahrscheinlicher zu machen.

Obwohl es ein ausführliches Glossar gibt und historisches Vorwissen für die Lektüre nicht zwingend erforderlich ist, schadet es nichts, ein paar Kenntnisse mitzubringen, um hier und da schon beim ersten Lesen Einzelheiten zu bemerken, die an Insiderwitze grenzen. So ist es z.B. vor Beginn der Schlacht ausgerechnet der junge Scipio (lange, bevor er den Beinamen Africanus gewinnt), der als späterer Sieger über Hannibal als einziger Römer bemerkt, dass an Hannibals Truppenaufstellung etwas verdächtig ist. Nicht jede Anspielung stammt jedoch aus der Antike. So kann man zumindest vermuten, dass der im Bild wie im Text präsente rote Mohn durchaus eine symbolische Bedeutung hat und eine Art „In Flanders Fields“ avant la lettre evozieren soll.

Denn was mit Siegesgewissheit auf beiden Seiten beginnt und wider Erwarten sogar Raum für Humor lässt (wenn etwa der Reiterführer Hasdrubal in eine von Sprachbarrieren erschwerte Debatte mit keltischen Kopfjägern unter seinem Kommando gerät), artet nach und nach in ein einziges Gemetzel aus, das für die Gewinner kaum weniger verstörend als für die Besiegten ist. Trotz der immer wieder durchklingenden Bewunderung für Hannibal und seine Fähigkeiten als Feldherr ist Darkness over Cannae damit auch eine in Wort und Bild eindringliche Schilderung des Grauens des Krieges, die über die ins Zentrum gestellte konkrete historische Situation hinaus Gültigkeit beanspruchen kann und nicht nur Antikenbegeisterte betroffen und nachdenklich zurücklassen dürfte.

Dolfen, Jenny: Darkness over Cannae. Thalion Graphics, Eppingen-Mühlbach, 2014, 144 Seiten.
ISBN: 978-3-9816944-1-3


Genre: Roman