Das Glück des Schmetterlings beim Fliegen

Die Restauratorin Marie hat einen Notkaiserschnitt knapp überlebt – ihr Sohn nicht. Der tragische Verlust belastet nicht nur ihr Verhältnis zu ihrem Mann Matti, sondern löst auch Albträume über einen unheimlichen Schmetterling in ihr aus und weckt böse Erinnerungen an ihre Jugend, in der sie sich als Heimkind stets verlassen und zu kurz gekommen fühlte. Dann aber begegnet Marie im Klinikgarten einer Katze und folgt ihr spontan auf den nahen Friedhof, der sich als weniger einsam erweist als erwartet. Neben Rose, die ein Grab pflegt, in dem gar nicht ihre verlorene Tochter liegt, sind dort auch der griesgrämige Steinmetz Siegfried, die rätselhafte Sängerin Gretel und der junge Adrian anzutreffen, der als eine Mischung aus Aussteiger und Mädchen für alles in der Friedhofskapelle sein Lager aufgeschlagen hat. Erst ganz allmählich wird Marie klar, dass es kein Zufall ist, dass sie ausgerechnet mit diesen vier Menschen ins Gespräch kommt – und dass nicht nur für sie selbst weitaus mehr auf dem Spiel steht, als es zunächst den Anschein hat …
Das Glück des Schmetterlings beim Fliegen ist ein philosophischer kleiner Roman über den Tod und das Leben, Festhalten und Loslassen, Selbstmitleid und Hoffnung. Sein besonderer Reiz besteht darin, dass er sich auf zwei ganz verschiedene Arten lesen lässt, je nachdem, ob man bestimmte Vorgänge als rein innerlich oder durchaus äußerlich interpretieren möchte. Wer bereit ist, dem Phantastischen und Übernatürlichen in seiner Lektüre etwas Raum zu geben, ahnt eine zentrale Wendung sicher weit schneller voraus als jemand, der alles Geschehen in einem Buch nach rein realistischen Maßstäben bewertet, aber für beide Arten von Leserinnen und Lesern dürfte die Geschichte funktionieren. Die aufgeworfene Frage nach dem richtigen Umgang mit leidvollen Erfahrungen ist ohnehin allgemein menschlich.
Was die darauf gefundene Antwort betrifft, hat man in gewissem Maße den Eindruck, dass Marie von verschiedenen Figuren (und auch in der impliziten Wertung der Autorin selbst) fast schon etwas zu unbarmherzig beurteilt wird. Natürlich ist es weder für sie noch für ihr Umfeld gut, dass sie immer tiefer in Verzweiflung versinkt und diese Gefühle auch an anderen, insbesondere an Matti, relativ rücksichtslos auslässt. Allerdings ist das, was sie in ihrem Leben durchgemacht (und nie völlig bewältigt) hat, in der Summe doch recht happig, so dass man ihr heimlich ein tröstendes Schulterklopfen mehr und eine Ermahnung weniger wünscht. Insgesamt aber ist die Perspektive, selbst im Unglück nicht den Wert des Lebens an sich zu vergessen und sich nicht allein über Erlittenes zu definieren, eine Sichtweise, die vieles für sich hat und den Roman trotz seiner ernsten Themen immer wieder optimistisch wirken lässt.
Dazu tragen sicher auch die fein beobachteten Schilderungen von Naturstimmungen und fast meditativ anmutenden Tätigkeiten bei. Barbara Imgrund hat Talent für intensive Beschreibungen, ganz gleich, ob nun ein morgendliches Vogelkonzert genossen oder eine Grabinschrift neu vergoldet wird (denn von der Zeit Gebeuteltes wieder auf Vordermann zu bringen, spielt, wie schon Maries Beruf als Restauratorin ahnen lässt, nicht nur auf psychischer Ebene eine Rolle). So bietet Das Glück des Schmetterlings beim Fliegen ungeachtet aller nachdenklichen und traurigen Elemente im Kleinen immer wieder hübsches Leseglück und ist allen zu empfehlen, die bereit sind, sich auf einen Roman einzulassen, der in vielerlei Hinsicht ein wenig anders, aber reizvoll ist.

Barbara Imgrund: Das Glück des Schmetterlings beim Fliegen. Norderstedt, BoD, 2018, 196 Seiten.
ISBN: 9783752803303


Genre: Roman