Der Esel steht

Im Jahre 1878 wanderte der Schriftsteller Robert Louis Stevenson mit einer Eselin namens Modestine durch die Cevennen und veröffentlichte ihm Jahr darauf einen Reisebericht darüber. Auf dem sogenannten Chemin de Stevenson (Stevensonweg) kann man seinen Spuren folgen – und genau das tut Erik Kormann, ebenfalls von einem Esel begleitet, und schildert seine Erfahrungen in diesem liebenswerten und unterhaltsamen kleinen Buch.

Die Eselwanderung durch Südfrankreich ist für ihn die Erfüllung eines Jugendtraums, da er sich schon früh für Stevensons Reise mit dem Esel durch die Cévennen begeistern konnte. Obwohl der literarische Bezug im Laufe der Tour durchaus immer wieder mitschwingt, steht er doch bald hinter den Erfahrungen im Hier und Jetzt zurück, ganz besonders hinter denen, die Kormann mit seinem langohrigen Reisebegleiter Narcisse, einem Esel mit Charakter, tagtäglich macht.

Mit wie viel Humor und Verständnis der Autor auf Narcisse eingeht, ganz gleich, ob der gerade mit Wonne fremde Blumenkästen leerfrisst, rüde ein Picknick sprengt oder selbst im Supermarkt die Nähe seines menschlichen „Herdenmitglieds“ sucht, macht das Buch ausgesprochen sympathisch. Man kann gar nicht anders, als sich selbst ein wenig in den schlingeligen Esel zu verlieben, der, wie schon der Titel verrät, nicht immer so läuft, wie sein Mensch es von ihm erwartet. Da das keine ganz eseluntypische Eigenheit ist, sind für Leserinnen und Leser, die selbst eine Eselwanderung planen, immer auch wieder Sonderseiten mit praktischen Tipps eingefügt, unter anderem auch eine augenzwinkernde Liste mit Gründen für das Stehenbleiben des Esels und möglichen Lösungsansätzen für das Problem.

Obwohl Narcisse also unangefochten die Bühne dominiert, bewahrt Kormann sich auch einen wachen Blick für die Umgebung und beschreibt lebendig Landschaft, Ortschaften, Unterkünfte von wechselnder Qualität, Begegnungen mit anderen Wandersleuten, kulinarische Genüsse und alles, was auf einer Reise durch Südfrankreich noch so schief- und gutgehen kann. Abgesehen davon kommt auch die Geschichte der Region nicht zu kurz. Neben dem Kamisardenaufstand, der von Ludwig XIV. blutig niedergeschlagen wurde, und den Umtrieben Kardinal Richelieus spielt vor allem immer wieder die sogenannte Bestie des Gévaudan eine Rolle, die im 18. Jahrhundert um die hundert Menschen tötete und bei der bis heute nicht geklärt ist, um was für eine Art von Raubtier es sich handelte. Während die historische Bestie jetzt niemandem mehr gefährlich wird, sondern vielmehr in Statuenform als Touristenattraktion dient, bemühen sich leider einige Hunde, ihr würdige Nachfolger zu sein, und machen Kormanns Wanderung etwas aufregender, als er es sich eigentlich vorgestellt hatte. Dass nach derart gefährlichen gemeinsamen Erlebnissen sein Weg mit Narcisse nicht endet, als der Urlaub vorbei ist, versteht sich eigentlich fast schon von selbst …

Kormann erzählt eingängig und oft etwas umgangssprachlich, so dass sein Text sich flott und flüssig liest. Zahlreiche Fotos und eine hübsch gestaltete Übersichtskarte des Stevensonwegs lockern das Buch zusätzlich auf. So bietet Der Esel steht vergnügliche und entspannte Lektüre für Frankreich- und Eselfans (und alle, die es noch werden wollen).

Erik Kormann: Der Esel steht. Durch Südfrankreich mit einem charmanten Langohr. München, Holiday (Gräfe und Unzer), 2020, 160 Seiten.
ISBN: 978-3834230652


Genre: Sachbuch allgemein