Der Limes gehört bis heute zu den auffälligsten und bekanntesten Spuren römischer Präsenz in Deutschland. Während viele Bücher zum Thema entweder nur das Gesamtphänomen der Grenze in den Blick nehmen oder aber ausführlich einzelnen Fundplätzen gewidmet sind, schlagen Marcus Reuter und Andreas Thiel mit Der Limes. Auf den Spuren der Römer einen reizvollen Mittelweg ein. Das für ein breites Publikum gedachte und auch dank seiner üppigen Bebilderung mit Karten, Rekonstruktionsdarstellungen und Fotos sehr anschauliche Buch zeichnet nicht nur überblicksartig die historische Entwicklung des Limes nach, sondern nimmt auch detailliert dessen geographischen Verlauf, die an ihm gemachten archäologischen Entdeckungen und die Forschungsgeschichte in den Blick.
Die ereignishistorisch ausgerichteten Kapitel rahmen den Rest des Buchs dabei gleichsam wie eine Klammer. In Der lange Weg zum Limes wird, begonnen mit den ersten römischen Eroberungen germanisch besiedelter Gebiete und über zentrale Ereignisse wie die Varusschlacht, aber auch die Gründung der beiden germanischen Provinzen unter Domitian, die allmähliche Entwicklung des Limes bis in die Zeit von Marc Aurel und Commodus nachgezeichnet. Das abschließende Kapitel Das Ende des Limes schildert nicht nur den allmählichen Zerfall der römischen Herrschaft und der Befestigungsanlagen, sondern auch die neuzeitliche Forschungsgeschichte.
Die Erklärung für den Fall des Limes und den letztendlichen Untergang des römischen Reichs ist dabei etwas anders akzentuiert als in Die Römer in Deutschland, einem älteren Werk eines der beiden Autoren. Werden dort die innerrömischen Bürgerkriege und die erstmalige Herausbildung größerer germanischer Verbände betont, wird der Keim der fatalen Entwicklungen hier primär in Fehlern des severischen Kaiserhauses gesehen: Die Entscheidung des Septimius Severus, zur Absicherung seiner Macht primär auf das Militär zu setzen und es mit exzessiven Solderhöhungen an sich zu binden, bildete nicht nur den Auftakt zur unruhigen Epoche der Soldatenkaiser, sondern zerrüttete auch die Finanzen des Staats dauerhaft. Ein weiterer Faktor der Destabilisierung war möglicherweise der Germanenfeldzug seines Sohnes Caracalla, der durch seine militärischen Aktivitäten außerhalb der Reichsgrenzen das bisher bestehende Gleichgewicht zwischen romfreundlichen und -feindlichen Germanengruppen zerstört und so zu den krisenhaften Entwicklungen des 3. Jahrhunderts beigetragen haben könnte.
Zwischen den beiden chronologisch bestimmten Kapiteln stehen drei geographisch geordnete, in denen Der niedergermanische Limes, Der obergermanische Limes und Der raetische Limes unter Hervorhebung besonderer Fundplätze von der Rheinmündung bis nach Passau besprochen werden. Schnell wird dabei deutlich, dass es einen einheitlichen Limes so nicht gab, sondern, je nach Ort und Zeit verschieden, von der Schneise im Wald über Wälle oder Mauern bis hin zur Flussgrenze (ripa) alles Mögliche den Rand des römischen Reichs markieren konnte. Zusätzlich zum Fließtext liefern Informationskästen knappe, aber aufschlussreiche Details zu Sonderthemen (wie z.B. zu Zivilsiedlungen im Umfeld römischer Militärplätze, aber auch zu beeindruckenden Einzelfunden wie etwa römischen Paraderüstungen). Dabei erfährt man nicht nur viel über die Grenzregion in all ihrer Vielfalt, sondern auch über Organisation und Einsatzgebiete des römischen Militärs, Architektur, Religiosität und Kaisertum. Auch wer sich noch nicht näher mit der Antike befasst hat, wird keine Schwierigkeiten haben, den gut lesbaren Erläuterungen zu folgen.
Vor allem aber ist es das Verdienst des Bandes, den Limes als überregionales Grenzsicherungssystem ins Bewusstsein zu holen und dabei auch in deutschsprachigen Überblicksdarstellungen oft nur kursorisch behandelte Abschnitte (wie etwa die römische Grenze in den Niederlanden) genau vorzustellen. So ist ein spannender Ausflug in die Römerzeit garantiert – dank all der Tipps, an welchen Stellen noch Reste des Limes im Gelände oder museal aufbereitet zu entdecken sind, nicht nur literarisch, sondern gegebenenfalls auch ganz real.
Marcus Reuter, Andreas Thiel: Der Limes. Auf den Spuren der Römer. Darmstadt, Theiss (WBG), 2019 (unveränderter Nachdruck der 1. Aufl. 2015), 224 Seiten.
ISBN: 978-3-8062-3927-0