Der Trümmermörder

Im Januar 1947 haben Hunger und Kälte das zerbombte Hamburg fest im Griff, und auch Gewalt ist in der von Jahren des Kriegs und der Terrorherrschaft verrohten Gesellschaft nichts Ungewöhnliches. Oberinspektor Frank Stave hat schon einiges gesehen, doch als eine vollkommen nackte junge Frau erdrosselt auf einem Trümmergrundstück gefunden wird, ist selbst er entsetzt. Der Fall ist ungewöhnlich genug, die Besatzungsmacht zu interessieren, und so wird ihm neben dem Polizisten Maschke vom Sittendezernat auch der britische Offizier MacDonald zugeteilt, um die Ermittlungen zu unterstützen. Aber wie soll man ein Verbrechen aufklären, bei dem nicht nur die Identität des Täters, sondern auch die des Opfers ein völliges Rätsel ist? Als nach und nach drei weitere Tote gefunden werden, die auf die gleiche Art ums Leben gekommen zu sein scheinen, steigt der Druck auf Stave, eine Lösung zu präsentieren. So lässt er sich auf ein riskantes Spiel ein, um den Mörder aus der Deckung zu locken, und erkennt erst viel zu spät, dass er sich damit selbst in Lebensgefahr bringt …

Cay Rademacher ist derzeit vor allem mit seinen Provence-Krimis erfolgreich, aber der erste Teil seiner schon früher erschienenen dreibändigen Reihe um den Ermittler Frank Stave im Hamburg der Nachkriegszeit braucht sich hinter den neueren Büchern nicht zu verstecken und zeichnet sich ebenso wie sie durch gute Ortskenntnis und genaue Recherche aus. Gerade das trägt dazu bei, dass man bei der Lektüre des Trümmermörders ein schlechtes Gewissen nicht ganz abschütteln kann: Die grausige Geschichte orientiert sich eng an einem historischen Fall, und anders als im Roman kam in der Realität nie ans Tageslicht, um wen es sich bei den Opfern handelte und wer sie getötet hatte. Dass so gewissermaßen mittelbar das entsetzliche Schicksal echter Menschen zur Unterhaltung dient, ohne dass man je erfahren wird, was es wirklich mit ihnen auf sich hatte, kann durchaus ein Schaudern auslösen, das man bei einem rein fiktiven Mord nicht empfinden würde.

Verdrängt man dieses Unbehagen jedoch weit genug, um sich auf das Buch einzulassen, findet man packende Krimilektüre, die sich vor allem durch ihre atmosphärische Darstellung einer schwierigen Übergangsphase auszeichnet. Nazizeit und Krieg sind zwar vorüber, wirken aber noch fort. Alle handelnden Personen leiden unter dem Erlebten, ob nun der aus dem englischen Exil zurückgekehrte jüdische Staatsanwalt Albert Ehrlich, der einen oft aussichtslos scheinenden Kampf um die Aufarbeitung der Barbarei der vergangenen Jahre führt, die rätselhafte Zeugin Anna von Veckinhausen, die sich nach ihrer Flucht aus Ostpreußen als Plünderin in der Trümmerlandschaft durchschlägt, oder Stave selbst, der nicht nur lange vergeblich das Schicksal seines im Krieg verschollenen Sohns aufzuklären versucht, sondern sich auch mit seiner eigenen Rolle im NS-Regime auseinandersetzen muss: Zwar war er kein überzeugter Nazi, aber zur Zeit der Novemberpogrome hat er doch lieber vor seinen Vorgesetzten gekuscht, als seinem Gewissen zu folgen. Im weiteren Verlauf der Ermittlungen spielt zudem das – allerdings wie die Trümmermorde mit etwas dichterischer Freiheit behandelte – Massaker von Oradour-sur-Glane eine entscheidende Rolle.

Der Kriminalfall selbst ist spannend aufgebaut und bietet eine durchaus stimmige Erklärung für die im wirklichen Leben bis heute rätselhafte Mordserie. Dabei hat er etwas Kammerspielhaftes, denn die Zahl der eingeführte Personen (und damit auch, den Genrespielregeln folgend, der möglichen Verdächtigen) bleibt überschaubar, so dass aus Lesersicht schneller als für Stave zu ahnen ist, in welchen Kreisen sich der Schuldige verbergen könnte. Das nimmt dem dramatischen Finale aber nichts von seiner Bedrohlichkeit, und lesenswert ist diese Mischung aus Krimi und historischem Roman auf jeden Fall.

Cay Rademacher: Der Trümmermörder. Kriminalroman. 10. Aufl. Köln, DuMont, 2014, 346 Seiten.
ISBN: 978-3-8321-6154-5

 


Genre: Roman