Der Wald

Der Wald ist derzeit ein populäres Thema, und das nicht nur, weil die Bedeutung von Umwelt- und Klimaschutz immer mehr Menschen bewusst wird. Trends wie das „Waldbaden“ oder die Beliebtheit des nature writing zeigen, dass der Wald vor allem auch die Gefühle anspricht.
Von solchen emotional geprägten Ansätzen grenzt der Biologe Hansjörg Küster sich in seinem Buch Der Wald. Natur und Geschichte bewusst strikt ab und wählt eine von Sachlichkeit und Nüchternheit geprägte naturwissenschaftliche und historische Perspektive, um seinen Leserinnen und Lesern das Phänomen Wald nahezubringen. Dabei stellt sich schon eingangs heraus, dass gar nicht so leicht zu umreißen ist, was einen Wald eigentlich ausmacht – was laut Gesetz dazugehört (wie z.B. Lichtungen oder Waldwege), fällt ökologisch gar nicht unter den Begriff. Doch auch abgesehen von solchen Spitzfindigkeiten hat sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder verändert, was genau man unter einem Wald versteht, und das nicht nur in geographisch unterschiedlichen Regionen, sondern auch innerhalb von Mitteleuropa und speziell Deutschland, den Gebieten, auf die Küster sich hier konzentriert.
Der ständige Wandel der Natur- und Kulturlandschaft zieht sich daher auch wie ein roter Faden durch das Buch, ob nun im Hinblick auf die Erdgeschichte (von der Entstehung der ersten Wälder vor über 370 Millionen Jahren bis heute) oder bezogen auf die Veränderungen, die der Wald spätestens seit der Jungsteinzeit durch direkten oder indirekten menschlichen Einfluss wiederholt durchmachte. Nicht jeder große Umbruch ist dabei Menschenwerk: So wirbelte z.B. die Abfolge von Warm- und Kaltzeiten die Zusammensetzung der mitteleuropäischen Wälder kräftig durcheinander. Echte Urwälder waren diese jedoch schon in vorindustrieller Zeit nicht mehr: Neben der direkten Holznutzung wirkten sich auch Ackerbau und Viehzucht beträchtlich auf die Landschaft aus. Neben rücksichtsloser Nutzung sind jedoch immer wieder, verstärkt ab der frühen Neuzeit, Bemühungen überliefert, den Wald zu schützen und auf Nachhaltigkeit zu setzen. Aus diesem Grunde steht Küster auch Bestrebungen kritisch gegenüber, Wälder gar nicht mehr zu bewirtschaften und sich selbst zu überlassen. Er plädiert vielmehr für einen Kompromiss zwischen Natur und Kultur, der sowohl Raubbau am Wald als auch die völlige Unterlassung menschlicher Eingriffe vermeidet.
Ein knapper Überblick widmet sich auch dem Wald aus ideengeschichtlicher Sicht, wobei Küster das 18. und 19. Jahrhundert als die für insbesondere das deutsche Bild vom Wald prägende Phase betrachtet, die einerseits eine Romantisierung und Aufladung mit politischen und nationalistischen Gedanken, andererseits aber auch eine Zuschreibung unheimlicher Züge (z.B. im Märchen) mit sich brachte. Geisteswissenschaftlich greift die Betrachtung der mit dem Wald verbundenen Assoziationen und Vorstellungen durch diese zeitliche Beschränkung teilweise etwas zu kurz (so gehört etwa der Wald als Ort der – vermeintlichen – Zivilisationsferne und des Abenteuers bereits in den festen Bestand der Schauplätze mittelalterlicher Dichtung und nicht erst der Grimm’schen Märchen), aber selbstverständlich ist eine umfassende kulturhistorische Analyse im Rahmen einer knappen Einführung weder angestrebt noch zu leisten.
Seinem Anspruch, einen ersten Überblick zu bieten, wird Der Wald auf jeden Fall gerecht und ist dank guter und genauer Erklärungen der gebrauchten Fachbegriffe für Laien problemlos zu lesen. Wer dagegen schon über Grundwissen in Sachen Wald verfügt, wird von ausführlicheren Darstellungen (die unter anderem auch vom selben Autor vorliegen) eher profitieren.

Hansjörg Küster: Der Wald. Natur und Geschichte. München, C.H. Beck, 2019, 128 Seiten.
ISBN: 978-3406732164


Genre: Sachbuch allgemein