Die Entstehung des Christentums

Um die Ursprünge des Christentums ranken sich unzählige Legenden. Jens Schröter unternimmt in seiner knappen Einführung Die Entstehung des Christentums den Versuch, auszuloten, was eigentlich historisch wahrscheinlich ist und wie sich Stück für Stück spezifisch christliche Formen der Theologie, Liturgie und Organisation herausbildeten. Der zeitliche Rahmen ist laut Untertitel Von den Anfängen bis zu Konstantin dem Großen gespannt, wobei der gewählte Endpunkt allerdings nur äußerst knapp abgehandelt wird und der Fokus stärker auf der Entwicklung bis dorthin als auf den näheren Umständen, unter denen das Christentum schließlich nicht nur toleriert, sondern von der Führungsebene des römischen Reichs protegiert wurde, liegt.

Deutlich wird dabei vor allem eines: Das eine, homogene Christentum gab es von Anfang an nicht, sondern vielmehr eine Fülle verschiedener Glaubensüberzeugungen, gottesdienstlicher Praktiken und alltäglicher Lebensweisen, von denen beileibe nicht alle bis in spätere Epochen überdauerten. Erscheint manches davon (z. B. die Abhaltung liturgischer Tänze) nur ungewohnt, aber nicht unbedingt in einem grundsätzlichen Widerspruch zu dem, was man heute unter Christentum versteht, gab es in anderen Fällen, vor allem unter den Gnostikern, auch inhaltlich erhebliche Abweichungen vom dem, worüber sich die christlichen Konfessionen der Gegenwart im Großen und Ganzen einig sind. Schröter zeichnet die frühen theologischen Debatten nach und macht auch deutlich, in welcher spezifischen Situation bestimmte Schriften des Neuen Testaments jeweils entstanden und dass der Kanon der Bibel nicht von vornherein feststand.

Die innere Heterogenität war jedoch nicht der einzige prägende Faktor für das frühe Christentum; noch entscheidender war seine Auseinandersetzung mit seiner jüdischen und paganen Umwelt. Diente die Abgrenzung vom Judentum zunächst vor allem der Herausbildung einer eigenen Identität des Christentums als etwas anderes als eine Spielart jüdischen Glaubens, artete sie leider oft in Polemik aus und trug so letztlich schon den Keim des bis heute immer wieder aufflammenden Antisemitismus in sich. Ambivalent blieb die Beziehung zum Heidentum, denn sie nur auf die Christenverfolgungen im römischen Reich zu reduzieren, greift zu kurz. Vielmehr übernahm das entstehende Christentum trotz aller Konflikte auch einiges aus der griechischen und römischen Kultur. So orientierten sich beispielsweise apologetische christliche Schriften formal oft eng an den gängigen philosophischen Dialogen, die eine ganz andere Weltsicht vertraten. In der Art des Disputierens über Religion und Lebensführung blieb daher vieles erhalten, was seine Ursprünge außerhalb jüdischer und christlicher Tradition hatte.

Viele dieser Aspekte werden aufgrund der Kürze des Buchs eher angerissen als detailliert ausgeführt, aber um einen ersten Überblick zu gewinnen, ist es hervorragend geeignet. Wie schon die vom selben Autor stammende Einführung über den historischen Jesus zeichnet sich auch die vorliegende durch ihre Arbeit eng an den Texten aus. Positiv fallen diesbezüglich auch immer wieder Jens Schröters umfassende Kenntnisse der Apokryphen auf, die hier stärkere Berücksichtigung finden als in manchen thematisch ähnlich gelagerten Büchern und zu dem Eindruck beitragen, dass das Christentum in all seiner Vielfalt sich möglicherweise auch ganz anders hätte entwickeln können, als es dann tatsächlich der Fall war.

Jens Schröter: Die Entstehung des Christentums. Von den Anfängen bis zu Konstantin dem Großen. München, C.H. Beck, 2024, 128 Seiten.
ISBN: 978-3-406-82272-8


Genre: Geschichte