Über den Untergang des (west-)römischen Reichs und seine Ursachen sind im Laufe der Jahrhunderte zahlreiche Theorien entwickelt worden. Rene Pfeilschifter vertritt diesbezüglich eine eindeutige Meinung. Zwar betont er im Gefolge der jüngeren englischsprachigen Forschung (Peter Heather, Bryan Ward-Perkins) den gewaltsamen Charakter des Umbruchs, der durch Angriffe von außen bewirkt wurde, sieht aber den eigentlichen Grund dafür, dass Rom sich dagegen nicht erfolgreich zur Wehr setzen konnte, in der Reichsteilung, die den stärker bedrohten und strukturschwächeren Westen die Ressourcen des Ostens kostete, der sich entsprechend länger zu halten vermochte.
Deshalb betrachtet er als Hauptcharakteristikum der Epoche neben dem Erstarken des Christentums (dem der eine Gott des Untertitels Rechnung trägt) die vielen Herrscher. Vor diesem Hintergrund erzählt er die historische Entwicklung von der Machtübernahme Diokletians im Jahre 284 bis zur Entstehung des Islam, die er als eigentlichen Endpunkt der Antike sieht, vor allem als Kaisergeschichte und stellt die Gestaltungsmöglichkeiten des mächtigen Einzelnen und ihre weitreichenden Konsequenzen heraus. Der Weg in die Tetrarchie, die den ersten Schritt zum Auseinanderbrechen des Reichs bildete, und zur Christianisierung erscheint unter dieser Perspektive nicht vorgezeichnet und unvermeidlich, sondern in hohem Maße als Produkt der Entschlüsse herausgehobener Individuen und nicht zuletzt auch bloßer Zufälle (wie etwa des unerwarteten Todes wichtiger Entscheidungsträger, an deren Stelle anders ausgerichtete Nachfolger traten).
Diese Sichtweise schlägt sich auch in der Bewertung nieder, die Pfeilschifter seinen Protagonisten angedeihen lässt: Oft ist sie etwas gegen den Strich des konventionellen historischen Urteils gebürstet. So schildert er den sonst als Christenverfolger und schlechten Wirtschaftspolitiker vielgescholtenen Diokletian sowie Julian Apostata, dessen Versuch einer Rückwendung zum Heidentum er durchaus Erfolgsaussichten einräumt, in recht positivem Licht als weitsichtige und nicht unrealistische Politiker, deren letztendliches Scheitern nicht zwangsläufig war. Umgekehrt werden gemeinhin populäre Figuren wie Konstantin der Große und Justinian zwar als einflussreich für den Lauf der Geschichte gewürdigt, aber beileibe nicht zu visionären Lichtgestalten verklärt.
Trotz dieses Blicks überwiegend von oben ist durchgängig Pfeilschifters Bemühen spürbar, seinen Lesern die Spätantike nahezubringen und nachvollziehbar zu machen, was bestimmte historische Vorgänge für die Betroffenen bedeuteten. Gelegentlich gelingt ihm dies sehr sensibel, wenn er etwa anmahnt, sich vorzustellen, welch entsetzliches Leid ein doch recht abstrakter Begriff wie „Plünderung“ eigentlich umschreibt.
In sprachlicher Hinsicht erscheint sein Feingefühl dagegen nicht ganz so treffsicher wie in menschlicher, denn hier und da gleitet sein Bemühen, durch Vergleiche aus der Moderne historische Sachverhalte begreiflich zu machen, in unfreiwillige Komik ab, ob nun ein zeitgenössischer Kritiker von Diokletian „das Bild eines antiken Dagobert Duck“ zeichnet oder Konstantins Aufstieg zum Kaisertum lapidar mit dem inhaltlich sicher nicht ganz falschen, von der Formulierung her aber gewöhnungsbedürftigen Satz zusammengefasst wird, dass sich „der gerissenste Gangster durchgesetzt hatte“. Allerdings können solche Anachronismen bisweilen durchaus zum Verständnis beitragen, wenn z.B. ein in Konstantinopel berühmter Wagenlenker als „ein Lionel Messi des Hippodroms“ geschildert wird – hier wirkt die Parallele überzeugend genug, um nicht gleich zum Schmunzeln zu reizen.
Mit der gewissen Vereinfachung, die darin liegt, muss man sich auch insgesamt abfinden, denn an einigen Stellen rafft Pfeilschifter stark und konzentriert sich auf die großen Entwicklungslinien, so dass manches glatter und übersichtlicher erscheint, als es wohl in der Realität war.
Daher wird man hier vor allem fündig, wenn man ein klares, zeitweise plakatives Bild der Spätantike sucht, das mit einigen originellen Deutungsansätzen aufzuwarten weiß. Leser, denen es eher um einen detaillierten, auch vor Widersprüchen und komplizierten Verwicklungen nicht zurückscheuenden Einstieg in die Epoche geht, sind dagegen mit dem im selben Verlag erschienenen Standardwerk von Alexander Demandt (Geschichte der Spätantike, ISBN: 978-3406572418) besser beraten.
Rene Pfeilschifter: Die Spätantike. Der eine Gott und die vielen Herrscher. München, C.H. Beck, 2014, 304 Seiten.
ISBN: 978-3406660146