Beim Stichwort „Römische Küche“ stehen einem schnell Bilder von zügellosen Gelagen nach dem Muster von Petronius‘ Gastmahl des Trimalchio vor Augen, von wüsten Exzessen und für den heutigen Geschmack eher exotisch wirkenden Speisen.
Solche Extravaganzen spielen jedoch bei Tünde Kaszab-Olschweski und Jutta Meurers-Balke allenfalls ganz am Rande eine Rolle; der Archäologin, der Archäobotanikerin und ihren zahlreichen Mitstreitern geht es vielmehr darum, den weit weniger glamourösen kulinarischen Alltag in der römischen Provinz Germania Inferior und vor allem in ihrem Hauptort, dem späteren Köln, fassbar zu machen. Bei aller Betonung der zeitlichen Distanz und der Fremdheit bestimmter Aspekte römischer Ernährung und Tischkultur ist dabei die Zielrichtung erkennbar, Kontinuitäten bis in die Gegenwart aufzuzeigen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass manch eine vertraute Obst-, Gemüse- oder Kräutersorte hierzulande erst von den Römern eingeführt wurde. Dabei ist ein breites Publikum angesprochen, was sich auch im Bemühen um übertrieben launige Überschriften niederschlägt. Doch von Titeln wie Die Kölner Ährengarde oder Der letzte Broiler – Hühnchen in römischen Gräbern sollte man sich nicht abschrecken lassen, denn die eigentlichen Sachtexte sind nicht so krampfhaft auf Humor gebürstet und vermitteln durchaus seriöse Informationen.
Nach einer Einführung, die nicht nur die Region und ihre römerzeitliche Bevölkerungsstruktur kurz vorstellt, sondern auch leicht verständlich mit den verschiedenen Quellengattungen vertraut macht und die römische Esskultur allgemein skizziert, werden zunächst Orte des Essens untersucht, zu denen neben Speisezimmern und Küchen mit ihrem jeweiligen Inventar auch Vorratskeller und Speicherbauten zählen.
Der daran anschließende Löwenanteil des Buchs ist den Lebensmitteln selbst gewidmet, von in der Gegend angebauten Grundnahrungsmitteln wie Getreide oder Gemüse bis hin zu von weither eingeführten Produkten wie Datteln oder Austern. Deutlich wird hier vor allem, dass archäologische Funde zur Rekonstruktion der Ess- und Trinkgewohnheiten unverzichtbar sind, ist doch nicht immer klar, welche Speisen genau in den Schriftquellen mit bestimmten Begriffen bezeichnet werden. Das gilt nicht nur für das mysteriöse, schon im 1. Jahrhundert n. Chr. ausgestorbene Silphium, das Paradebeispiel für einen zu Spekulationen einladenden Pflanzennamen. Auch andere Ausdrücke sind für uns heute nicht mehr mühelos verständlich, weil sich ihre Bedeutung verengt oder verschoben hat (z.B. konnte asparagus nicht nur den Spargel bezeichnen, sondern auch die Triebe anderer Pflanzensorten, und für das in den einschlägigen Wörterbüchern mit Feldsalat gleichgesetzte siser werden hier als Alternativen auch Pastinaken und Zuckerwurz diskutiert). Der Nachweis, was tatsächlich um das römische Köln herum angebaut oder eingelagert wurde, kann in solchen Fällen zur Klärung beitragen, aber nicht alle Zweifel ausräumen.
Denn auch die Interpretation archäologischer Funde ist nicht ohne Tücken, wie Günther E. Thürys spannender Beitrag zu römischen Feuerstellen und Herden beweist: Funktion und Bedienung erhaltener Gerätschaften erschließen sich oft erst mithilfe von zeitgenössischem Schilderungen oder Bildern (die hier dazu herangezogen werden, zu belegen, dass die Römer nicht etwa nur offene Feuerstellen, sondern auch schon von unten zu befeuernde Herde kannten). Hinzu kommt, dass zwar Samen, verkohlte Pflanzenreste, Knochen von Schlachtvieh, Lagerbehältnisse, Koch- und Essgeschirr davon zeugen, welche Zutaten vorhanden waren, wie man sie aufbewahrte und mit welchen Hilfsmitteln man sie zubereitete und servierte, die Speisen selbst aber natürlich in aller Regel nicht erhalten sind.
Überlieferte Rezepte (vor allem aus dem berühmten Kochbuch des Apicius), die, erfreulicherweise immer zweisprachig, in Kästen in den Text eingestreut sind, schaffen hier Abhilfe, daneben aber auch Artikel über experimentalarchäologische Versuche (so etwa der von Wolfgang Gaitzsch über Käseherstellung nach antiken Rezepten in nachgebauten Formen). Besonders in diesem Kontext ist man dankbar für die reiche Bebilderung des Buchs mit Fotos und Zeichnungen, auf denen neben archäologischen Funden und modernen Rekonstruktionen nicht zuletzt auch die Nahrungsmittel selbst (insbesondere verschiedene Pflanzen) schön präsentiert werden.
Nicht nur aufgrund dieser visuellen Erfahrung bleibt man am Ende mit dem Eindruck zurück, dass hier eine recht unmittelbarere Annäherung an einen wichtigen Teilbereich der römischen Lebenswirklichkeit geglückt ist. Essen war und ist eben nicht nur notwendige Erfahrung für alle Menschen in jeder historischen Epoche, sondern, wie der kurze Ausklang aufzeigt, zugleich ein Bereich der materiellen Kultur, in dem bei allen Veränderungen bestimmte Grundkonstanten sehr beharrlich sein können. So machen die Grenzenlosen Gaumenfreuden besser als jedes ereignishistorische Buch deutlich, wie sehr für jeden Einzelnen von uns auch für selbstverständlich Gehaltenes und Alltägliches von Weichenstellungen in der Vergangenheit abhängt.
Jutta Meurers-Balke, Tünde Kaszab-Olschewski (Hrsg.): Grenzenlose Gaumenfreuden. Römische Küche in einer germanischen Provinz. Mainz, Philipp von Zabern, 2010, 168 Seiten.
ISBN: 978-3805342414