Die „wahre“ Geschichte über irgendein historisches Thema zu erzählen, ist eine unlösbare Aufgabe, und so gibt auch Karl Banghard schon in seinem Vorwort zu, dass Die wahre Geschichte der Germanen trotz dieses plakativen Titels natürlich nicht genau das, sondern eben nur eine Annäherung unter den Bedingungen unserer Zeit ist. Zumindest ist dieses populärwissenschaftliche Buch aber eine wahrere Geschichte als manch eine andere, die über die Germanen erzählt wird, denn gegen deren ideologische Vereinnahmung von rechts und ihre Stilisierung zu vermeintlichen ersten Deutschen positioniert Banghard sich mit Nachdruck, nicht zuletzt, weil er als Leiter des Archäologischen Freilichtmuseums Oerlinghausen immer wieder selbst mit entsprechenden Vorstellungen konfrontiert ist.
In der Sache gelingt es ihm auch glänzend, auf Basis seiner unverkennbar umfassenden Kenntnisse der Epoche solchen Fehlannahmen (oder bewussten Verfälschungen) ein dem heutigen Stand der Forschung entsprechendes Bild entgegenzusetzen und dabei auch immer wieder ehrlich aufzuzeigen, wenn in der Wissenschaft keine Einigkeit über bestimmte Themen herrscht. Eines allerdings steht fest: Die Germanen als einheitliche Entität gab es nicht, aber kulturell und sprachlich lässt sich eben doch vieles über die Menschen rekonstruieren, die unter diesem Begriff zusammengefasst werden.
Banghards Ansatz ist dabei oft praktischer Natur (und manchmal auch von einem gewissen Überlegenheitsgefühl der in dieser Hinsicht „handfesteren“ archäologischen Herangehensweise gegenüber der germanistischen oder althistorischen Textarbeit geprägt). So erfährt man viel über im Experiment Erprobtes, das in anderen Darstellungen eher zu kurz kommt, etwa, wie genau eine bei den frühen Germanen übliche Leichenverbrennung funktionierte oder warum es sich lohnen kann, Pferdehaar zusammen mit Wolle zu verweben. Vor allem aber lernt man anhand verschiedenster Fundorte und der dort gemachten Entdeckungen einiges über Alltagsthemen, ob nun Hausbau, Landwirtschaft, Ernährung, Verkehrswesen, Runenschrift, Begräbnissitten, Kleidung, Frisuren, Töpferei, Eisenverhüttung oder Mobilität (bis hin zu offenbar höchst erfolgreichen Einwanderern wie einem Mann aus dem Nahen Osten, der im 3. Jahrhundert in einem Prunkgrab in Thüringen beigesetzt wurde). Berühmtes (so die Siedlung von Feddersen Wierde, die Fibel von Meldorf, der Schatzfund von Neupotz oder die als „Roter Franz“ bezeichnete niedersächsische Moorleiche) steht dabei neben Unbekannterem und aus heutiger Sicht kurios Anmutendem wie etwa einem im Polen gefundenen Grab, in dem unter anderem 16 Gänse eine Frau ins Jenseits begleiteten.
Eingebettet ist all dies in eine skizzenhafte Ereignisgeschichte der Germanen von den ersten als germanisch anzusprechenden Zeugnissen in Süddeutschland (wo aufgrund ihres Erscheinens zu einem spezifischen Zeitpunkt eine Eingrenzung leichter fällt als in dem Kontinuum weiter nördlich, bei dem unklar bleiben muss, ab wann genau es als „germanisch“ gelten kann) über verschiedene militärische Konflikte des Römischen Reichs mit germanischen Gruppen bis hin zum Übergang der antiken Welt ins Frühmittelalter. Abschließend richtet ein Kapitel noch einmal gezielt den Blick auf die Germanenrezeption der Rechten von der Nazizeit bis heute – eine Begeisterung, der ironischerweise auch das Freilichtmuseum Oerlinghausen überhaupt erst seine Existenz verdankt, auch wenn es heute dankenswerterweise zu den Institutionen gehört, die sich um eine andere Sichtweise bemühen.
Ein hochinteressantes und gelungenes Buch also? Ja – aber mit einer Einschränkung, denn ob man mit Banghards Erzählweise warm wird oder nicht, ist eine Frage des individuellen Geschmacks. Wer sich mit reichlich Umgangssprache (vom „Kulturwissenschafts-Klingonisch“, S. 191, bis zum „Scheißlegatus“, S. 54) und auch immer wieder mit etwas gewollt anmutendem Humor abfinden kann, wird es bei der Lektüre leichter haben als alle anderen. Zahlreiche Scherze wie der Kalauer, man könne den bis heute in der Forschung umstrittenen Ort der Varusschlacht vielleicht in Dissen am Teutoburger Wald vermuten, weil Varus ja lange nach seinem Tod von römischen Schriftstellern „gedisst“ worden sei (S. 58), bleiben einem nicht erspart, auch wenn ihre Dichte glücklicherweise im Verlauf des Buchs abnimmt.
Dabei kann Banghard eigentlich sehr gut schreiben und tut das oft auch über mehrere Seiten hinweg, ganz gleich, ob es nun um sachliche Angaben oder poetische Naturschilderungen (siehe etwa S. 119) geht, bis er dann wieder die nächste deftige umgangssprachliche Wendung, noch eine Popkultur-Anspielung oder einen eher platten Witz bringen zu müssen meint. So sehr das wissenschaftliche Trockenheit oder übertriebene Ehrfurcht zu vermeiden hilft, alles in allem ist es doch etwas zu viel des Guten. Aber vielleicht spricht dieser Stil ja manche Leute an, und möglicherweise auch gerade diejenigen, die besonders von diesem Buch profitieren können, weil es ihre Vorurteile so entschlossen geraderückt.
Angesichts des bemüht launigen Tonfalls wirkt es übrigens unfreiwillig komisch, dass im Bildtafelteil ausschließlich Fotos von Reenactment-Germanen enthalten sind, die so vollkommen todernst dreinsehen, als hätten sie nicht viel zu lachen (ob das nun eher eine Aussage über das Posieren für solche Aufnahmen oder über das Leben der historischen Germanen beinhalten soll, sei einmal dahingestellt). Andere Illustrationen fehlen leider bis auf eine Karte der erwähnten Fundorte komplett: Es gibt weder Bilder von archäologischen Funden noch Rekonstruktionszeichnungen. Gerade weil sich das Buch nicht primär an ein Fachpublikum richtet, wäre es schön gewesen, hieran nicht zu sparen.
Ein Gesamturteil über Die wahre Geschichte der Germanen fällt nicht leicht. Einerseits hat sie ohne Zweifel eine Fülle an Wissen und Aufklärungsarbeit zu bieten, und die Intention dahinter ist einem grundsympathisch. Andererseits wäre ein weniger effekthascherischer Ton angenehmer zu lesen gewesen als die forcierte Lockerheit. Eindeutig zu- oder abraten kann man also nicht; der Inhalt ist die Lektüre auf jeden Fall wert, aber inwieweit die Darreichungsform einem behagt, kann nur jeder selbst entscheiden.
Karl Banghard: Die wahre Geschichte der Germanen. 2. Aufl. Berlin, Propyläen (Ullstein), 2025, 272 Seiten.
ISBN: 978-3-549-10090-5