Finnikin of the Rock

Jahrelang streift der junge Finnikin mit seinem Mentor Sir Topher unstet durch die Lande. Ihre Heimat, das beschauliche Lumatere, ist ihnen verschlossen, seit die Herrscherfamilie von Unbekannten ermordet wurde, ein Usurpator auf dem Thron sitzt und eine sterbende Hexe das Königreich mit einem Fluch belegt hat. Doch eine Äußerung der hellseherisch begabten, aber undurchsichtigen Novizin Evanjalin lässt die beiden Flüchtlinge neue Hoffnung schöpfen: Angeblich ist Finnikins Kindheitsfreund, der Kronprinz Balthazar, wider Erwarten doch noch am Leben. Er allein könnte Lumatere erlösen – doch um ihn aufzuspüren, gilt es erst einmal, Finnikins Vater, einen in Ungnade gefallenen Gardehauptmann, aus einem berüchtigten Gefängnislager zu befreien …
Melina Marchettas Finnikin of the Rock ist der Eingangsband der Reihe Lumatere Chronicles, kann aber problemlos als in sich abgeschlossener Roman gelesen werden. Ob die Lektüre sich allerdings lohnt, ist eine andere Frage, die nicht ganz einfach zu beantworten ist. Denn selbst bei wohlwollender Betrachtung ist Finnikin of the Rock ein Buch, in dem der märchenhaft-naive Weltenbau und die drastischen Themen bis zum Schluss nicht so recht miteinander harmonieren.
Lumatere ist ein selbst für die Verhältnisse pseudomittelalterlicher Fantasy winziges und ursprünglich idyllisches Königreich, in dem jeder jeden kennt, ein Herzog allenfalls so etwas wie ein besserer Dorfvorsteher ist, die wirtschaftlichen Verhältnisse eher simpel geordnet sind und dennoch mehrere kulturell äußerst unterschiedliche Bevölkerungsgruppen bestehen. Selbst der Kontinent Skuldenore, auf dem Lumatere liegt und der für seine Bewohner offenbar die gesamte bekannte Welt darstellt, scheint geographisch eher bescheiden dimensioniert zu sein und ist problemlos binnen kürzester Frist zu durchreisen.
Während die Kulisse also irgendwo zwischen Kinderbuch und Zaubermärchen zu verorten ist und nicht unbedingt einen hohen Grad an Realismus beanspruchen kann, spielt sich in ihr Düsteres ab. Flüchtlingselend, Seuchen, Religionskonflikte, Misshandlungen, Massaker, zerstörte Kindheiten und vor allem immer wieder auch sexuelle Gewalt sind wichtige Elemente der Handlung, mag sie vordergründig auch als ganz klassische Questengeschichte um die Rückgewinnung eines verlorenen Throns daherkommen. Doch mit Lug, Trug und (versuchter) Vergewaltigung ist selbst innerhalb der zusammengewürfelten Heldentruppe zu rechnen, und dass manches davon am Ende doch recht leicht verziehen wird, passt nicht ganz zu dem sonst spürbaren Bemühen, den Protagonisten Tiefe und eine überzeugende Psychologie zu verleihen.
Einzelne Szenen und Figurenkonstellationen sind nämlich durchaus gelungen. So ist etwa Finnikins Verhältnis zu seinem Vater Trevanion ein ständiger Balanceakt zwischen den Überresten kindlicher Heldenverehrung und dem erwachsenen Reiben an den unbestreitbar vorhandenen Ecken und Kanten. Auch Evanjalin ist in ihrer komplexen Mischung aus Skrupellosigkeit, Pathos und Verletzlichkeit eine nicht uninteressante Gestalt. Punktuell ist vieles sehr fein beobachtet und wird nicht ohne Humor kritisch beleuchtet, ob es nun um das Geschlechterverhältnis, die Bedeutung von Heimat und Zugehörigkeitsgefühl oder die Reaktion auf Veränderungen der eigenen gesellschaftlichen Stellung (im Guten wie im Bösen) geht.
All dies könnte in einer anderen Umgebung lohnende Denkanstöße liefern und gerade auch hinsichtlich der Flüchtlingsthematik aktuell wirken. Doch das Ineinandergreifen der so disparaten Teilstücke funktioniert einfach nicht gut genug, um das Gefühl zu verscheuchen, dass hier zusammengeworfen wird, was eigentlich nicht zusammenpasst. In der Gesamtschau will Finnikin of the Rock einfach zu viel auf einmal sein, mystisches Märchen, traditionelles Reiseabenteuer, Entwicklungsroman, mahnende Schilderung von Leid und Elend und nicht übertrieben optimistische Auseinandersetzung mit den Schattenseiten der menschlichen Natur. Über dieses etwas holprige Konglomerat trösten am Ende nicht einmal Marchettas flüssiger und leicht lesbarer Stil und ihr Gespür für Spannung und Dramatik hinweg. So bleibt ihr Roman einer, dessen bemerkenswerten Ansätzen man eine gekonntere Ausführung gewünscht hätte.

Melina Marchetta: Finnikin of the Rock (Lumatere Chronicles – Book One), London, Walker Books, 2014 (Original: 2008), 512 Seiten.
ISBN: 9781406355895


Genre: Roman