In die Bibliothek eines Gemeindezentrums in Tokio verschlägt es nach und nach fünf sehr unterschiedliche Menschen, in deren Leben alles gerade nicht zum Besten steht: die junge Verkäuferin Tomoka, die damit hadert, keine glänzende Karriere hingelegt zu haben, sondern sich mit schwierigen Vorgesetzten und unfreundlicher Kundschaft herumschlagen zu müssen, den Buchhalter Ryo, der von einem eigenen Antiquitätengeschäft träumt, den Sprung ins kalte Wasser aber scheut, die ehemalige Redakteurin Natsumi, die sich seit der Geburt ihrer Tochter mit einer weniger erfüllenden Stelle begnügen muss und damit ringt, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen, den Arbeitslosen Hiroya, dem der große Durchbruch als Zeichner versagt geblieben ist, während anderen in seinem Umfeld alles spielend zu gelingen scheint, und den frischgebackenen Rentner Masao, der nicht so recht weiß, wie es im Ruhestand mit ihm weitergehen soll. Alle wenden sie sich auf der Suche nach bestimmten Büchern an die Bibliothekarin Sayuri Komachi, die auf den ersten Blick zwar abweisend wirkt und sich nur für ihre Filzarbeiten zu interessieren scheint, aber jedem Menschen, der sich an sie wendet, nicht nur einen kleinen Glücksbringer schenkt, sondern auch ein Buch zusätzlich zu dem eigentlich gewünschten empfiehlt. Wer sich darauf einlässt, kann Überraschendes erleben.
Michiko Aoyama legt ihrem Roman Frau Komachi empfiehlt ein Buch im Grunde ein ähnliches Konzept zugrunde wie Carsten Henn seinem Buchspazierer: Eine leicht exzentrische, aber kluge Gestalt nutzt ihre Menschenkenntnis, um den mehr oder minder unglücklichen Personen, die sich an sie wenden, genau das passende Buch zuzuordnen, das, mit dem richtigen Blick gelesen, eine lebensverändernde Wirkung entfaltet. Während die Titelfigur bei Henn allerdings stark im Zentrum der Geschichte steht, ist sie bei Aoyama eher eine helfende Instanz im Hintergrund, über deren eigenen Lebensweg und seine unerwarteten Wendungen man nur bruchstückhaft etwas erfährt, ohne je ihre Perspektive erleben zu dürfen.
Stattdessen schlüpfen die fünf, die sich bei der Bibliothekarin nach Büchern erkundigen, nacheinander in die Ich-Erzähler-Rolle. Da die Hauptfiguren nichts weiter miteinander zu tun haben, könnte man die einzelnen Kapitel auch als eigenständige kleine Geschichten lesen – könnte, sollte aber nicht, denn auf subtile Art, durch erst ziemlich unauffällige Nebenfiguren und scheinbar beiläufig eingestreute Einzelheiten, sind alle Abschnitte auch über die Bibliothek als Ort und Sayuri Komachi und ihre Assistentin als wiederkehrende Gestalten hinaus so eng miteinander verflochten, dass sie erst in der Zusammenschau ein großes Ganzes ergeben.
Während die geschilderten Schicksale in manchen Zügen sehr japanisch geprägt sind (gerade der hohe, für die eigene Identität zentrale Stellenwert, den eine bestimmte Art von Arbeitsverhältnis genießt, mutet nach europäischen Maßstäben extrem an), ist die zentrale Botschaft des Buchs, sich auch einmal auf Lektüre, nach der man vielleicht nicht spontan greifen würde, einzulassen und darin den nötigen Anstoß zu finden, Chancen zu nutzen oder sich wenigstens so gut wie möglich mit den gegebenen Verhältnissen zu arrangieren, universell gültig.
In einigen Fällen hat man den Eindruck, dass Aoyama die Wendung zum Guten im Leben ihrer Figuren etwas zu mühelos eintreten lässt: Dass ein zufälliges Alltagsgespräch mit den richtigen Leuten umgehend zum Traumjob führt, wie hier gleich zweimal, wünscht man sich zwar sicher, aber das Glück haben wohl nur die wenigsten. Doch alles in allem liest sich der hoffnungsvolle und freundliche Roman in der Übersetzung von Sabine Mangold angenehm und unterhaltsam. Wer Lust auf ein Buch über Bücher hat, das einen in positiver Stimmung zurücklässt, kann hier daher nicht viel falsch machen.
Michiko Aoyama: Frau Komachi empfiehlt ein Buch. 3. Aufl. Hamburg, Kindler (Rowohlt), 2023, 288 Seiten.
ISBN: 978-3-463-00040-4