Fremde und Fremdsein in der Antike

Weite Reisen und Migration sind nicht erst ein Phänomen der Moderne. Schon im Altertum standen Menschen immer wieder vor der Frage, wie sie mit Begegnungen mit Fremden, aber auch mit eigenen Erfahrungen des Fremdseins umgehen sollten, und fanden darauf eine Fülle von guten wie schlechten Antworten. Wie es um Fremde und Fremdsein in der Antike bestellt war, untersucht Holger Sonnabend quellennah und lebendig in seinem neuen Buch.

Der zeitliche Bogen reicht vom archaischen Griechenland bis in die Spätantike (ergänzt um einen kurzen Ausblick ins Mittelalter). Weniger klar zu umgrenzen ist, was unter „Fremden“ und „Fremdsein“ zu verstehen ist, da es eine schier unerschöpfliche Fülle von möglichen Gründen dafür gab, dass Menschen sich mehr oder minder weit entfernt von ihrer Herkunftsregion wiederfanden: Während Einwanderung, Flucht, Verbannung oder gar Versklavung in der Regel bedeuteten, dass man sich dauerhaft an einem neuen Ort einrichten musste, konnten Handel, Bildungsdrang, Militärdienst oder früher Tourismus dafür verantwortlich sein, dass man sich auf Zeit in die Fremde begab.

Diese begann aus Sicht antiker Griechen übrigens oft schon relativ in der Nähe der eigenen Heimat, denn obwohl man gegenüber den verächtlich als Barbaren apostrophierten Angehörigen anderer Kulturen ein gewisses griechisches Gemeinschaftsgefühl pflegte, blieb der engere Bezugsrahmen doch der eigene Stadtstaat. Zwar gab es Institutionen wie Gastfreundschaft und Asyl, die den Umgang mit Fremden humanisierten, aber mit der Vergabe des Bürgerrechts an Zugezogene geizte man selbst dann, wenn es sich um andere Griechen handelte. Etwas mehr Weltoffenheit lässt sich im Zeitalter des Hellenismus feststellen, nachdem die Eroberungen Alexanders des Großen kulturellen Austausch brutal und auch gegen Widerstände in den eigenen Reihen erzwungen und zudem die Entstehung griechisch beherrschter Flächenstaaten ausgelöst hatten.

In Rom, das schon in seinen Ursprungssagen den Beitrag Fremder zur Gründung und zum Aufblühen der Stadt thematisierte, war die Situation von vornherein anders, wenn auch nicht dezidiert fremdenfreundlich. Auch hier gab es kulturelle Arroganz, Vorurteile gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen (der Autor Juvenal war z. B. eindeutig kein Freund der Syrer) und sogar Verfolgungen bestimmter Religionsgemeinschaften nichtrömischen Ursprungs – neben Juden und Christen traf es zeitweise etwa auch die Anhänger des Isiskults. Aber eine pauschale Diskriminierung oder gar ein Rassismus im modernen Sinne ist nicht festzustellen, und die Vergabe des römischen Bürgerrechts wurde, wenn auch manchmal nicht ohne bürokratische Hürden, großzügig gehandhabt. So standen auch ursprünglich Fremden glänzende Karrieren bis hin zum Aufstieg in höchste Staatsämter offen. Umgekehrt gab es aber auch Römer, die es in die Fremde verschlug – ein prominentes Beispiel ist hier der ans Schwarze Meer verbannte Dichter Ovid.

Holger Sonnabend schreibt zugänglich und locker. Nicht nur der oft humorvolle und durchaus auch einmal auf umgangssprachliche Wendungen zurückgreifende Stil ist auf ein allgemeines Publikum zugeschnitten. Manchmal hat man allerdings den Eindruck, dass es im Zuge des Abzielens auf leichte Verständlichkeit zu gewissen Vereinfachungen und Verkürzungen kommt. Wenn der Autor z. B. ausführt, man habe die Trojaner in der Sage vom Trojanischen Krieg als Griechen verstanden (vgl. S. 19), lässt er dabei unerwähnt, dass der trojanische Königssohn Paris in bildlichen Darstellungen gern mit phrygischer Mütze gezeigt und dadurch als Nichtgrieche und Mann aus Kleinasien gekennzeichnet wird – interessanterweise sogar auf dem Vasenbild, das Holger Sonnabend selbst zur Illustration des Kapitels über den Trojanischen Krieg verwendet (S. 18). Auch wenn man solch mangelnde Differenzierung einmal außer Acht lässt, ist sachlich nicht alles hundertprozentig korrekt. So wird z. B. als Autor des Romans Ben Hur fälschlich Lewis Carroll angegeben (S. 189 f.)  und Sulpicius Apollinaris, ein Gelehrter des zweiten Jahrhunderts, wird einmal mit Sulpicius Severus  verwechselt (S. 217).

Davon, dass hier und da also noch Verbesserungspotenzial besteht, sollte man sich aber nicht von der Lektüre abhalten lassen. Denn Holger Sonnabend beleuchtet anhand einer Fülle von Einzelbeispielen ein wichtiges Thema, aus dessen Erscheinungsformen in der Antike man durchaus Lehren für die heutige Zeit ziehen kann, und zeigt auf, dass vieles, was allein schon die Menschlichkeit gebieten sollte, auch schlicht die politisch vernünftigste Lösung sein kann.

Holger Sonnabend: Fremde und Fremdsein in der Antike. Über Migration, Bürgerrecht, Gastfreundschaft und Asyl bei Griechen und Römern. Wiesbaden, Marixverlag, 2021, 304 Seiten.
ISBN: 978-3-7374-1168-4


Genre: Geschichte