Der klassische Pirat ist in der allgemeinen Vorstellung sicher der des 17. oder 18. Jahrhunderts, und auch moderne Seeräuber, etwa am Horn von Afrika, machen seit einigen Jahren verstärkt von sich reden. Dass diese Form der Kriminalität jedoch nicht ausschließlich ein Phänomen der Neuzeit ist, zeigt die Archäologin Heidrun Derks in ihrer für eine breite Leserschaft gedachten Überblicksdarstellung Gefahr auf See – Piraten in der Antike.
Archäologisch lassen sich die Aktivitäten von Piraten nur selten nachweisen, auch wenn es Ausnahmen gibt, so etwa das vor Zypern gefundene Wrack von Kyrenia, ein mit Wein und Eisenbarren beladenes Handelsschiff, in dessen Bordwänden noch Pfeile steckten, als es im 3. Jahrhundert v. Chr. sank, so dass man wohl auf einen Überfall als Ursache des Untergangs schließen kann. Fassbar werden Seeräuber damit erst mit dem Aufkommen von Schriftquellen, das aber sehr früh – schon in der diplomatischen Korrespondenz der Bronzezeit ist von Piraterievorwürfen die Rede.
Im weiteren Verlauf des Altertums bekamen es dann Phönizier, Etrusker, Griechen und Römer mit Piraten zu tun oder wurden selber welche. Ohnehin waren die Grenzen zwischen legitimer Kriegsführung und Piraterie oft fließend, so dass sowohl in der Historiographie als auch in literarischen Werken (etwa in der Odyssee) das, was Feinden oder negativ gezeichneten Gestalten als Verbrechen ausgelegt wurde, bei Freunden oder Protagonisten als Heldentat gefeiert werden konnte. Dass diese Ambivalenz auch schon in der Antike so empfunden wurde, zeigt die bei Augustinus zitierte Bemerkung eines gefangenen Piratenkapitäns gegenüber Alexander dem Großen, der Unterschied zwischen ihnen bestehe vor allem im Umfang ihrer jeweiligen Operationen.
Neben Geld- oder Machtgier bildete aber auch immer wieder Armut einen entscheidenden Faktor bei der Hinwendung von Einzelpersonen oder ganzen Menschengruppen zum Seeraub. Das Entern anderer Schiffe stellte dabei übrigens, anders als in späteren Epochen, nicht einmal das bedeutendste Tätigkeitsfeld von Piraten dar. Noch häufiger sind Überfälle auf Küstenorte und Entführungen von Menschen dokumentiert, die als Sklaven verkauft oder gegen ein Lösegeld wieder freigelassen wurden (ein prominentes Opfer von letzterer Praktik war Caesar, der dafür allerdings mit harter Hand Vergeltung übte).
Eingebettet ist diese immer wieder durch Quellenzitate und Textkästen zu relevanten Persönlichkeiten aufgelockerte Geschichte der Piraterie in den größeren Kontext der Entwicklung von Schifffahrt und Handel im Mittelmeerraum. Heidrun Derks schreibt gut verständlich auch für Leserinnen und Leser, die mit der Antike bisher noch nicht viel zu tun hatten, und zieht gelegentlich auch augenzwinkernd Verbindungen zur modernen Popkultur. So hat etwa in dem Kapitel über die Phönizier auch eine Gestalt aus den Asterix-Comics, der windige Händler Epidemais, einen Auftritt.
Einzelne kleine Ungenauigkeiten haben sich eingeschlichen, fallen aber insgesamt nicht allzu sehr ins Gewicht (so z.B. die Angabe, die Schrift der Etrusker würde sich „bis heute der Entschlüsselung“ entziehen, S. 76 – die Schrift selbst ist durchaus lesbar, es ist vielmehr die etruskische Sprache, die mangels einer umfangreichen Textbasis Rätsel aufgibt). Alles in allem ist Gefahr auf See ein flüssig zu lesender, solider Einstieg in ein spannendes Thema, den man gerade aufgrund seines üppigen Bild- und Kartenmaterials sicher auch nach der ersten Lektüre gern noch einmal zur Hand nimmt.
Heidrun Derks: Gefahr auf See – Piraten in der Antike. Darmstadt, Theiss (WBG), 2016, 112 Seiten.
ISBN: 978-3806233131