Here Be Dragons

Wird die Formulierung Here Be Dragons im Englischen in Anspielung auf alte Landkarten, auf denen man unbekanntes Terrain oft mit Fabelwesen auffüllte, gern als Metapher für Unbekanntes und Bedrohliches verwendet, ist sie als Titel von Hannah Steenbocks Geschichtensammlung ganz wörtlich zu nehmen, denn die acht hier versammelten, jeweils mit einem Vorwort versehenen Texte, von denen zwei zusammen mit dem Co-Autor Andrew Modro verfasst sind, bieten verschiedene Spielarten der Fantasy, und in einigen treten tatsächlich auch Drachen auf.

Minkus, the Masterful Magic Mender bekommt es allerdings nicht mit ihnen zu tun: Der alternde Zauberer, der, von einer geheimnisvollen inneren Stimme geleitet, durch die Lande zieht und magische Reparaturen anbietet, könnte auf den ersten Blick mit seinen Alltagserlebnissen ins Subgenre der Cozy Fantasy passen, aber im weiteren Verlauf seines kleinen Abenteuers wird es deutlich mystischer, und sowohl die gemäß Sagen und Legenden besondere Beziehung zwischen Jungfrauen und Einhörnern als auch die Tatsache, dass man Menschen (und Tieren!) nicht immer auf den ersten Blick ansehen kann, was genau sie sind, werden hier geschickt genutzt, um alles eine überraschende Wendung nehmen zu lassen.

The Evil Wizard (eine der Geschichten unter Beteiligung von Andrew Modro) führt in eine märchenhaft anmutende Welt, in der ein Geschwisterpaar sich mit dem Verlust des magischen Kartenspiels, dem Bruder und Schwester ihr Leben widmen, auseinandersetzen muss. Die Spur des dreisten Diebstahls führt zu dem titelgebenden, in der Gegend verrufenen Zauberer, aber um zu ihm vordringen und ihn zur Rede stellen zu können, sind einige übernatürliche Hürden zu überwinden, was mit viel Humor geschildert ist (und letzten Endes zu einer unerwarteten Entwicklung führt).

Deutlich düsterer und trotz aller Fantasyelemente im Grundton realistischer erscheint Black Wings. Die drohende Versklavung einer afrikanisch inspirierten Gemeinschaft durch weiße Invasoren, deren schonungsloses Vorgehen eindringlich geschildert wird, ist hier nur eines der ernsten Themen, denn anhand der einst als Findelkind ins Dorf gekommenen Protagonistin Jakeshi wird auch einfühlsam ausgelotet, ob und wie man dazugehören kann, wenn man sehr anders als alle anderen ist und auch eine Krisensituation für einen noch einmal heftigere Konsequenzen als für die Übrigen hat.

Wesentlich kürzer und ganz anders gestaltet ist Something New Under the Sun, denn hier besteht die gesamte Geschichte aus einem Dialog zwischen einem gewissen Ben und seiner Bekannten Marge, bei der er nicht zum ersten Mal ein gefundenes, hilfsbedürftiges Tier abliefert. Alle notwendigen Informationen, um ein Bild der Situation zu gewinnen, sind geschickt in das Gespräch eingeflochten, und angesichts der Schlusspointe würde man gern noch mehr über alle Beteiligten und ihre weiteren Erlebnisse erfahren.

The Last Ballad war laut Vorwort bei ihrer Erstveröffentlichung zunächst Teil einer Anthologie, deren verbindendes Element ein Drachenei mit beträchtlichen Auswirkungen auf die Figuren, in deren Besitz es sich jeweils befindet, bildet, aber die Geschichte ist auch ohne diesen Kontext verständlich. Der Zentaur Lirandal ist als königlicher Barde längst über den Höhepunkt seines Ruhms und seiner Sangeskünste hinaus, aber für eine heranwachsende Prinzessin, die an ihm hängt, möchte er noch einmal so glänzen wie zu seinen besten Zeiten. Das Grundthema des Alterns und des schleichenden Verlusts von Fähigkeiten bildet dabei eine kleine Parallele zu Minkus, the Masterful Magic Minder, allerdings ist der Ausgang in Lirandals Fall ein ganz anderer.

Die zweite mit Andrew Modro verfasste Geschichte, Fireworks, scheint eingangs ebenfalls eine entsprechende Problematik anklingen zu lassen, wenn der Zwerg Darios, ein gewiefter Pyrotechniker, erkennen muss, dass sein Freund und Geschäftspartner, der Alchemist Lester, wohl nicht wieder gesund werden wird. Auf die Reise zur Hochzeit eines Prinzen, dem die beiden in der Vergangenheit schon einmal begegnet sind und der zur Feier des Tages nun ein spektakuläres Feuerwerk bekommen soll, muss daher Lesters Sohn Milton Darios begleiten, aber was so bittersüß beginnt, wächst sich zu einem handfesten und mit viel Humor geschilderten Abenteuer aus und nimmt nicht ganz das Ende, mit dem Darios gerechnet haben dürfte.

Etwas Ähnliches trifft auch auf die Protagonistin von The Enchantment zu. Selene, Absolventin einer renommierten Magieschule, sieht sich auf einem Maskenball plötzlich selbst mit einem hartnäckigen Zauber belegt, und noch dazu von einem der verachteten freien Magier, deren Treiben sie bestenfalls kritisch sieht. Ein Gegenzauber muss also her, doch die nötigen Zutaten zu beschaffen, führt Selene auf eine kleine Queste, die zunächst einmal alles nur noch schlimmer macht … Beim Lesen ahnt man zwar früher als die Heldin, worin das eigentliche Problem bestehen könnte, aber das stört nicht weiter, weil Selenes missgelaunte Sichtweise die Geschichte ungeheuer amüsant macht und alles bis hin zur Auflösung so nett und liebevoll geschildert ist.

Ernsthafter in Schwierigkeiten als Selene ist der Dragon in the Jar in der letzten Geschichte der Sammlung, auch wenn Ich-Erzähler Konrad Tsaretsky, ein Detektiv der besonderen Art, der sich gegenüber seiner Kundschaft eher bedeckt hält, wie genau er verlorene Gegenstände für sie aufspürt, erst einmal nur glaubt, für eine reiche Unsympathin ein abhanden gekommenes Dekorationsobjekt wiederfinden zu sollen. Das aber hat es im wahrsten Sinne des Wortes in sich, und so geht es hier bei allem Witz auch um Ausbeutung und unfair erworbene Reichtümer, so dass die Wendung, die alles ganz zum Schluss nimmt, äußerst befriedigend ist.

Sind Ton und Setting der Geschichten auch unterschiedlich, zeichnen sie sich doch alle trotz ihrer Kürze durch einen ausgefeilten Weltenbau und pointierte Charakterisierungen aus. So ist eine spannende, unterhaltsame und abwechslungsreiche Lektüre garantiert, die sich ebenso gut abschnittsweise lesen wie schnell verschlingen lässt.

Hannah Steenbock: Here Be Dragons. Kiel, Buehsteppe Verlag, 2014 (E-Book). 
ISBN: 978-1-5001-8802-3


Genre: Anthologie, Erzählung