Herrschaft, Kirche und Bauern im nördlichen Bodenseeraum in karolingischer Zeit

Der Buchtitel wirkt in seiner Länge zwar fast schon barock, aber es geht um das frühe Mittelalter: Der Tagungsband Herrschaft, Kirche und Bauern im nördlichen Bodenseeraum in karolingischer Zeit vereint Beiträge, die sich in irgendeiner Form dem weit gesteckten Oberthema unterordnen lassen. Ein komplettes regionalhistorisches Panorama der gewählten Epoche entsteht so zwar nicht, aber doch eine Sammlung interessanter Schlaglichter auf Alltag und lokale Machtverhältnisse.

Den Rahmen stecken zunächst Matthias Becher mit Alemannien zur Zeit der Karolinger und Andreas Schwab mit einem Beitrag über Die naturräumlichen Grundlagen im nördlichen Bodenseeraum ab. Die politische Ereignisgeschichte der gewaltsam ins Frankenreich eingegliederten Alemannia und die Besonderheiten von Landschaft, Klima und Bewirtschaftungsmöglichkeiten sind so im Hintergrund schon einmal präsent, wenn man in die Aufsätze zu Einzelaspekten der Forschung einsteigt.

Nicht zu jeden Bereich gibt es dabei viel zu sagen, wie Archäologisches zur Karolingerzeit im nördlichen Bodenseeraum (Christoph Morrissey) deutlich macht, denn an vielen Orten fehlen entweder Funde aus dieser Zeit oder zumindest Belege für das, was die Schriftquellen schildern. Mit diesen befasst sich Clemens Regenbogen, der Die ländliche Gesellschaft des nördlichen Bodenseeraums in der Karolingerzeit nach den schriftlichen Quellen untersucht, unter denen in Besitzübertragungen oder Freilassungsurkunden gelegentlich auch ein kurzer Blick auf die Unterschichten möglich wird, deren Angehörige allerdings selten ein individuelles Profil gewinnen.

Quellenkritisch und akribisch stellt Dieter Geuenich Überlegungen Zum Zeugniswert der Ortsnamen für die Erforschung der Siedlungsgeschichte des nördlichen Bodenseeraums an. Während die frühere Forschung oft hoffte, aus einem Ortsnamen ablesen zu können, wer die Siedlung gegründet hatte, mahnt Geuenich diesbezüglich zur Vorsicht. Denn Orte wurden zwar oft nach den Männern und Frauen benannt, denen sie gehörten, wechselten aber auch schnell den Namen, wenn sie in den Besitz anderer übergingen.

Ernst Tremp widmet sich den wichtigsten geistlichen Institutionen der Region, wenn er über Das Bistum Konstanz und die Klöster St. Gallen und Reichenau in der Karolingerzeit berichtet, die erst eng miteinander verflochten waren (bis hin zur gelegentlichen Vereinigung von Abts- und Bischofswürden in Personalunion), bis die Klöster unter königlichem Schutz mehr Eigenständigkeit gewannen. Neben den großen Entwicklungslinien spielen hier aber auch interessante Details wie z.B. der Bildungsstand von Priestern und eine Art Examen, dem sie sich unterziehen mussten, eine Rolle.

Dem Kloster St. Gallen entstammt mit dem älteren St. Galler Verbrüderungsbuch auch die Quelle, die Alfons Zettler hauptsächlich nutzt, um Herrschaft und Adel im Bodenseeraum zur Karolingerzeit darzustellen, denn aus den zum geistlichen Gedenken an vor allem männliche Mitglieder der Eliten angelegten Namenslisten lässt sich einiges über die zeitgenössische Kategorisierung der Führungsschichten ablesen. Dass allerdings nicht jedes Kloster so bedeutend und langlebig war wie St. Gallen, zeigt Thomas Zotz in seinem Aufsatz Die Klosterlandschaft zwischen Bodensee, Donau und Iller in der Karolingerzeit. Viele Gründungen verschwanden auch wieder oder verschmolzen im Laufe der Zeit mit größeren Institutionen.

Der abschließende Bericht zur Tagung von Edwin Ernst Weber fasst die einzelnen Beiträge knapp zusammen und hilft einem so, dass Gelesene noch einmal zu rekapitulieren; zusätzlich sind teilweise im Rahmen der Tagung erfolgte Nachfragen und Ergänzungen aus dem Publikum erwähnt. Hervorhebenswert am gesamten Band ist die üppige Ausstattung mit Farbabbildungen guter Qualität (insbesondere auch aus Handschriften wie etwa dem erwähnten St. Galler Verbrüderungsbuch). Hier macht oft schon allein das Betrachten großen Spaß. Alles in allem ist so ein schönes regionalgeschichtliches Buch entstanden, das allen Frühmittelalterinteressierten ans Herz gelegt werden kann.

Edwin Ernst Weber, Thomas Zotz (Hrsg.): Herrschaft, Kirche und Bauern im nördlichen Bodenseeraum in karolingischer Zeit. Stuttgart, Kohlhammer, 2020 (Oberschwaben – Forschungen zu Landschaft, Geschichte und Kultur 5), 208 Seiten.
ISBN: 978-3-17-038328-9

 


Genre: Geschichte