Im Schatten der Esse

In ihrer Kindheit und Jugend hat die Schmiedegesellin Zita viel Unschönes erlebt, und auch als sie in der von Kriegsverwüstungen tief gezeichneten Wildermark auf die Walz geht, hat sie es nicht unbedingt leicht. Auf der Flucht vor einem Räuber verirrt sie sich im Wald. Der undurchsichtige Halbork Alrik, auf den sie dort trifft, nimmt sie mit in das Dorf, in dem er nur widerwillig als Hilfsarbeiter geduldet wird. Zwar findet Zita hier über den Winter ihr Auskommen, doch es mehren sich die Anzeichen, dass etwas Bedrohliches im Gange ist: Orks treiben ebenso ihr Unwesen wie allerlei kriegerische Menschen, die das Machtvakuum in der Gegend ausnutzen, um die Herrschaft über einzelne Orte an sich zu reißen, und geheimnisvolles Sternenmetall weckt Begehrlichkeiten. Als die Gesellin schon ans Weiterziehen denkt, überschlagen sich auf einmal die Ereignisse, und sie begegnet unter dramatischen Umständen dem Junker Ulfberth, an dessen Seite ihr Abenteuer noch ganz andere Formen annimmt …

Im Schatten der Esse, das Romandebüt von Judith C. Vogt, ist mittlerweile über zehn Jahre alt, braucht sich aber vor ihren neueren Werken nicht zu verstecken. In der Welt des Rollenspiels Das Schwarze Auge angesiedelt (über das man allerdings dank eines Glossars nichts im Voraus wissen muss, um das Buch zu verstehen), ist es von der Kulisse her ein eher traditioneller Fantasyroman mit ebenso bösartigen wie hässlichen Orks als Schurken und Gestalten wie einem trinkfreudigen Zwergenschmied, der immer wieder einmal für humoristische Einlagen in der ansonsten ernsten und bisweilen auch blutigen Geschichte sorgen darf. Einige Passagen sind recht verstörend (seien es nun Zitas schmerzliche Erinnerungen oder eine happige Folterszene, in der nicht die Antagonisten die Ausführenden sind). Unter dieser Oberfläche verbirgt sich aber mehr, als man vielleicht auf den ersten Blick erwarten würde.

Gerade im Vergleich zu jüngeren Texten wie etwa Anarchie Déco ist es interessant, zu sehen, wie viel Typisches hier bereits zu erkennen ist. Denn auch wenn Judith C. Vogts progressive Ideale in ihrem aktuellen Schaffen vordergründiger ausgearbeitet sein mögen, ist das Bewusstsein für Ungerechtigkeiten und die Sorgen und Nöte von Personen, die von der Gesellschaft an den Rand gedrängt werden, offensichtlich viel älter. Nicht anders ist es mit dem Gespür dafür, was Traumata und die Befürchtung, nicht ernstgenommen zu werden, wenn man für sich selbst eintritt, in einem anrichten können, insbesondere auch in einem Umfeld, in dem die latente Bedrohung durch physische und sexuelle Gewalt erschreckend alltäglich ist.

Bei der Ich-Erzählerin Zita, die sich oft lieber als Schmied denn als Schmiedin bezeichnet und einen klassisch femininen Habitus für sich ablehnt, kann man sich sogar fragen, ob in ihr nicht schon manche Züge angelegt sind, die später in einer Figur wie Nike in Anarchie Déco, die sich einer Einordnung als Frau oder Mann entzieht, eindeutiger zum Tragen kommen. Nach strahlenden Auserwählten sucht man auch in diesem Buch schon vergebens; die rettende Tat im wilden Showdown müssen vom Leben Gebeutelte vollbringen, die durchaus auch das Potenzial haben, viel Unheil anzurichten, und selbst schon schuldig geworden sind. Umso erfreulicher ist es, dass die Lösung eines zentralen Problems nicht in Kampfkraft allein liegt, sondern im geschickten Einsatz ganz anderer Fähigkeiten und in der Zusammenarbeit miteinander.

Abgesehen von diesen nachdenklichen Elementen bietet Im Schatten der Esse aber nach einem ruhigen Anfang auch flotte Dialoge, actionreiche Kämpfe, ein spannend aufgebautes Questenabenteuer und daneben Schilderungen, die viel Begeisterung für das Schmiedehandwerk verraten, die sich sogar in der Namensgebung niederschlägt (so ist es sicher kein Zufall, dass Ulfberth zwar selbst kein Schwert herstellt, aber doch eines geschenkt bekommt). Für alle, die Spaß an klassischen Fantasysettings haben und sich von einem eher düsteren Grundton nicht abschrecken lassen, lohnt sich also der Ausflug in die Wildermark.

Judith C. Vogt: Im Schatten der Esse. Erkrath, FanPro, 2011, 400 Seiten.
ISBN: 978-3-89064-125-6


Genre: Roman