Insbesondere als Tolkien-Illustratorin ist Jenny Dolfen eine feste Größe, aber auch mit anderen literarischen sowie historischen und mythologischen Themen hat sie sich schon künstlerisch auseinandergesetzt. In Journeys. Artbook 2015 – 2019 stellt sie eine Auswahl aus ihrem Schaffen in dem erwähnten Zeitraum mit berührenden und interessanten, immer wieder aber auch humorvollen Begleittexten zusammen. Das ist optisch traumhaft schön (mit einem Hauch von Art Nouveau), in Wort und Bild oft wunderbar nerdig und alles in allem ein großes Lese- und Schauvergnügen.
Hauptattraktion sind natürlich die Zeichnungen und Aquarelle selbst, die, oft ganzseitig, in guter Bildqualität reproduziert sind und bestechend lebendig wirken. Die Sujets sind oft Tolkiens Werken entnommen und reichen von dramatischen Schlachtenszenen bis hin zu sensiblen Figurenstudien (gerade Fans der Söhne Feanors dürften hier voll auf ihre Kosten kommen). Aber auch andere fiktive Welten haben Anregungen geliefert (z.B. Star Wars). Daneben findet man viel Mythologie (vor allem keltische), aber auch zarte, spontane Skizzen von Reisen (ganz entzückend z.B. die eines Rotkehlchens aus Glastonbury, wie ohnehin Vögel aller Art ein wiederkehrendes Motiv auf vielen Bildern sind).
Wie schon bei Jenny Dolfens empfehlenswertem Roman Darkness over Cannae macht es großen Spaß, in ihren Bildern auf die Suche nach Einzelheiten zu gehen. So taucht etwa in einer eindrucksvollen Darstellung durch die Luft reitender Walküren ein sehr authentisch wirkendes spätantikes Drachenfeldzeichen auf (nicht unähnlich z.B. dem Fund von Niederbieber und doch etwas ganz Eigenes). Genauso nett ist es, auf einem Bild des Helden Tuor aus Tolkiens Silmarillion als Schmuckelement an den Ärmeln seiner Tunika ein Wellenornament zu entdecken, das eine gewisse Hokusai-Inspiration nicht verleugnen kann und gut dazu passt, dass in Tuors Geschichte das Meer und mit ihm assoziierte höhere Mächte eine zentrale Rolle spielen. Ohnehin ist die Detailverliebtheit bei den Kostümen wunderbar, bis hin dazu, dass die Figuren in Tolkiens (früh-)mittelalterlich inspirierter Welt sichtlich wendegenähte Schuhe tragen (hübsch zu erkennen etwa auf dem Bild As little might be thought). Umso lustiger ist es, wenn die Künstlerin für Tolkiens Ostlinge einmal ganz bewusst vom Hörnerhelm bis zur zottigen Pelzgarderobe alles auffährt, was es an ahistorischen Barbarenklischees in der Populärkultur so gibt – und die Reaktion darauf schildert, dass manche Leute darin Wikinger als Vorbild zu erkennen meinen …
Bei allem Witz und Humor ist es aber doch eine sehr ernste und betroffen stimmende persönliche Reise, die Jenny Dolfen in ihren englischsprachigen Begleittexten Stück für Stück erzählt. Ein Trauerfall und gesundheitliche Probleme sind nicht ohne Auswirkungen auf ihre Kunst geblieben, und die Einblicke, die sie hier in ihren Umgang mit den Härten des Lebens gestattet, bleiben am Ende stärker im Gedächtnis als die ebenfalls enthaltenen technischen Hinweise (z.B. zur Arbeit mit Bildvorlagen und Modellen, die – im Falle einer Katze – auch schon einmal wenig kooperativ sein können).
Die im Titel versprochenen Journeys, auf die man hier mitgenommen wird, führen also nicht nur in grandios heraufbeschworene fremde Welten, sondern auch in Überlegungen, die einen mitfühlen lassen und einem zum Denkanstoß werden können. Allen Kunst- und Fantasyfans sei das Artbook daher wärmstens ans Herz gelegt.
Jenny Dolfen: Journeys. Artbook 2015 – 2019, o.O. 2019, 100 Seiten.
Ohne ISBN, erhältlich bei Etsy.