Lucullus

Lucullus – war das nicht der Gourmet, der die Süßkirschen nach Italien brachte? Unter anderem auch das, aber dass es zu kurz greift, das bewegte Leben des Lucius Licinius Lucullus auf den Aspekt des Genussmenschen zu reduzieren, möchte Peter Scholz in seiner Biographie Lucullus. Herrschen und genießen in der späten römischen Republik zeigen.

Der 118 v. Chr. geborene Lucullus ist für ihn vielmehr ein Musterbeispiel eines Aristokraten der späten römischen Republik, der im Rahmen des Ethos, in dem er aufgewachsen war, durchaus nach einem fairen Verhalten in der Politik wie im Krieg strebte, dessen Bildung und Kultiviertheit Zeitgenossen in Rom wie im griechischen Osten beeindruckten und dessen Prachtentfaltung (einschließlich exquisiter Speisen) weniger persönlichem Schwelgen im Luxus als einem ständischen Repräsentationsbedürfnis geschuldet war. Als enger Weggefährte Sullas früh den Optimaten zuzurechnen, bemühte sich Lucullus mit anderen wie Cicero und Cato dem Jüngeren um eine Bewahrung des althergebrachten politischen System, fand sich aber trotz militärischer Erfolge insbesondere gegen Mithridates immer weiter politisch ins Abseits gedrängt und starb Ende 57 oder Anfang 56 v. Chr. nach zwei gescheiterten Ehen an Gift (wobei unklar ist, ob der Mord tatsächlich von der Hand des Freigelassenen Kallisthenes im Zuge einer Beziehungstat geschah oder die Skandalgeschichte nur zur Verschleierung eines in Wirklichkeit politisch motivierten Anschlags diente). Da das literarische Werk des Lucullus, anders als das seiner Zeitgenossen Caesar und Cicero, nicht überliefert ist, sind Selbstzeugnisse von ihm heute nicht mehr greifbar, so dass die Einschätzung seines Charakters nur mittelbar über die Aussagen Dritter möglich ist.

Das Lucullus übergestülpte Bild des dekadenten Prassers, dem kulinarische Genüsse wichtiger gewesen seien als politische Fragen, sieht Scholz dabei in der Propaganda seiner Gegner aus dem Lager der Popularen schon zu Lebzeiten angelegt, bei dem im Umfeld Caesars wirkenden Historiker Sallust einflussreich ausgearbeitet und durch die spätere Rezeption zementiert. Gegen diese und nicht zuletzt gegen die seiner Meinung nach zu negative Einschätzung vieler moderner Historiker (begonnen mit Theodor Mommsen) schreibt Scholz dezidiert an und versucht nichts weniger als eine Ehrenrettung seines Protagonisten und letztlich auch der Optimaten allgemein. Die heutige Forschung – so seine Einschätzung – lasse sich zu stark vom modernen Demokratie- und Werteverständnis einerseits und von charismatischen und dementsprechend glorifizierten Gestalten wie Caesar aufseiten der Popularen andererseits blenden, um zu einem gerechten Urteil zu kommen.

Die Popularen wertet Scholz, begonnen mit den Gracchen, negativ und billigt ihnen, anders als etwa Charlotte Schubert, kein ernsthaftes Reformstreben zu. Vielmehr sieht er in ihrem Vorgehen die Folgen einer unheiligen Allianz zwischen geldgierigen Geschäftsleuten und zunehmend skrupellos agierenden Politikern, die das unvollkommene, aber immerhin auf Ausgleich bedachte republikanische System gezielt aus Macht- und Geldgier zu Fall brachten und durch autokratische Strukturen ersetzten. Es hätte aber eben auch durchaus anders kommen können, und wäre das geschehen, wäre möglicherweise auch das historische Urteil über einen Mann wie Lucullus anders ausgefallen.

Über eine reine Biographie hinaus bietet Lucullus daher eine Gesamtschau des einsetzenden Untergangs der römischen Republik. In vielen Punkten erlaubt dies bei allen Unterschieden der historischen Situation durchaus, Parallelen zu heute zu ziehen, gerade hinsichtlich der Verquickung wirtschaftlicher und politischer Interessen oder der Frage, ob jede Neuerung auch automatisch eine Verbesserung bedeutet und das Festhalten an Bewährtem notwendigerweise zu verdammen ist.

Gründlicher hätte an manchen Stellen das Lektorat sein können, denn bei den Angaben über die Lebensdaten einiger erwähnter Personen scheint etwas durcheinandergegangen zu sein. So soll etwa Cornelia Fausta, die Tochter Sullas, bei ihrer Heirat um 72 v. Chr. 15 Jahre alt gewesen sein (S. 191), allerdings schon 83 v. Chr. eine Villa, die Lucullus ihr später abkaufte, ersteigert haben (S. 214) – wenn sie das als Vierjährige im Alleingang geschafft hat, gebührt ihr höchster Respekt! Ebenso können die für Titus Pomponius Atticus angegebenen Lebensdaten „162–110 v. Chr.“ (S. 75) schwerlich zutreffen (wie schon bei dieser seiner ersten Erwähnung im Buch leicht daraus ersichtlich ist, dass gleich darauf erläutert wird, dass er ein literarisches Werk des Lucullus über den Bundesgenossenkrieg gelobt haben soll).

Angenehm dagegen ist der Stil der Biographie zu lesen, da Scholz flüssig schreibt, aber dabei dankenswerterweise auf gewollt umgangssprachliche Wendungen verzichtet, wie sie in letzter Zeit doch immer wieder manche Bücher zu verschiedenen historischen Themen durchziehen. Insgesamt lohnt sich daher die Lektüre, nicht nur, um Näheres über einen Römer der späten Republik zu erfahren, der, anders als seine noch berühmteren Zeitgenossen, der Nachwelt zu Unrecht nur für eines seiner Interessengebiete unter vielen in Erinnerung geblieben ist.

Peter Scholz: Lucullus. Herrschen und Genießen in der späten römischen Republik. Stuttgart, Klett-Cotta, 2024, 416 Seiten. 
ISBN: 978-3-608-98778-2


Genre: Biographie, Geschichte