Magisches Land

Ein Magisches Land voller Götter und Geister muss das heutige Baden-Württemberg vor über zweitausend Jahren für die dort lebenden Kelten gewesen sein – so kann man es jedenfalls nach der Lektüre des als Begleitband zu einer Ausstellung im Archäologischen Landesmuseum Baden-Württemberg erschienenen Buchs mit diesem Titel vermuten. Allein um den Kult der Kelten in Baden-Württemberg, wie der Untertitel verheißt, geht es jedoch nicht: Zwar sind Funde religiös genutzter Stätten und spektakulärer Gräber dort der Ausgangspunkt der Darstellung, aber die keltische Kultur hielt sich natürlich nicht an moderne politische Grenzen. So werden auch Funde aus anderen europäischen Gebieten herangezogen, um kultische bis magische Praktiken und Glaubensvorstellungen der Kelten möglichst gut zu rekonstruieren.

Einfach ist das nicht, denn die wenigen Schriftquellen, die Schlüsse darüber zulassen, stammen überwiegend von griechischen und römischen Beobachtern, nicht aber von den Kelten selbst, wenn man von einigen späten Inschriften absieht (die etwa von romanisierten Kelten vorgenommene Weihungen an ihre Gottheiten festhalten). Die Überlieferung der inselkeltischen Mythologie erlaubt es zwar hier und da, Parallelen zu ziehen, setzt aber Jahrhunderte zu spät ein, um tragfähige Aussagen über die geistige Welt der Hallstattzeit (ca. 800 – 450 v. Chr.) und der daran anschließenden Latènezeit zu gestatten.

Spektakuläre Grabfunde aus der Hallstattzeit scheinen jedoch darauf hinzudeuten, dass geistliche und weltliche Führungspositionen in dieser Epoche oft in den Händen derselben Personen lagen und von Männern wie von Frauen bekleidet werden konnten. Dagegen trat offenbar in der Latènezeit eine stärkere Trennung zwischen einer kriegerischen weltlichen Führungsschicht und einer geistigen und geistlichen Elite in Gestalt der bekannten Druiden ein. Beide Rollen konnten zwar weiterhin in einer Person vereint sein, wie im Falle des bei Caesar und Cicero erwähnten Haeduers Diviciacus, doch war dies offenbar nicht mehr die Regel.

Breiten Raum nimmt die Schilderung dessen ein, was sich dank der Archäologie über die eigentliche Kultausübung erschließen lässt. Neben der Aufstellung von Statuen und der zu vermutenden Abhaltung von Prozessionen und vielleicht auch Wagenrennen war für die Kelten das Opfer der zentrale Akt, um mit höheren Mächten in Kontakt zu treten. Neben der Opferung von Tieren und Gegenständen in Heiligtümern oder an besonderen Plätzen in der Natur kam es auch zu Menschenopfern (oft wohl von Kriegsgegnern, aber auch z. B. im Zuge von Totenfolgebräuchen). Typisch keltisch ist dabei die weit verbreitete Zurschaustellung menschlicher Schädel, die aber gelegentlich auch zu Anhängern (wahrscheinlich mit Amulettfunktion) verarbeitet wurden. Während also noch relativ gut fassbar ist, welche Handlungsweisen den Kelten religiös oder magisch geboten erschienen, ist das Warum dahinter oft schwieriger zu erahnen. Zwar sind aus römischer Zeit einige keltische Gottheiten und ihre Zuständigkeitsbereiche überliefert, aber die zugehörigen Mythen, von denen einige vermutlich auf dem hier ausführlich besprochenen und wie viele andere Funde auch detailliert in Bildern präsentierten Kessel von Gundestrup dargestellt sind, lassen sich nicht mehr erschließen.

Noch rätselhafter als ihre religiösen Vorstellungen ist an den Kelten Baden-Württembergs allerdings eines: Ihr jähes Verschwinden noch vor der Okkupation der Region durch die Römer. Im 1. Jahrhundert v. Chr. wurden die alten Siedlungsgebiete dort offenbar so gut wie vollständig von Menschen verlassen. Als mögliche Auslöser werden zwar Angriffe germanischer Gruppen, Seuchen, Missernten oder innere Wirren angegeben, doch letzten Endes sind die Gründe für die zeitweise Entvölkerung der Gegend ungeklärt. Keltisches, das sich in römischer Zeit dort wieder zeigt, wurde offenbar von romanisierten Kelten mitgebracht, ohne dass eine Kontinuität zur vorherigen Tradition bestanden hätte.

Doch wie der letzte Beitrag des Bandes mit seinem kurzen Ausblick auf die Populärkultur zeigt, sind es vielleicht gerade die Lücken im Wissen über die Kelten, die diese zur idealen Projektionsfläche für eigene (Wunsch-)Vorstellungen werden lassen und damit auch ein wenig ihren Zauber ausmachen. Nicht nur deshalb ist ein Ausflug ins Magische Land für alle historisch Interessierten empfehlenswert.

K. Felix Hillgruber u. a.: Magisches Land. Kult der Kelten in Baden-Württemberg. Darmstadt, Theiss (WBG), 2021, 168 Seiten.
ISBN: 978-3-8062-4399-4

 


Genre: Geschichte